Kennt Ihr nicht auch diese Typen, die gerade ihr Master-Studium in Musik abgeschlossen haben, in einem klassischen Orchester Mozart und Bach auf der Geige spielen und danach hochwertige HipHop-Instrumentals produzieren oder einen Gig in Paris spielen? Okay, wir kennen zugegebenermaßen auch nur einen. Der beherrscht sein Handwerk dafür aber perfekt. FloFilz aus Aachen wechselt mittlerweile seit 2012 regelmäßig zwischen Orchesterbühne und MPC hin und her. Im September 2016 hat er sein neues Album "Cenário" veröffentlicht, auf dem er seinem Jazz- und Boom bap-geprägten Stil einmal mehr treu bleibt. Im Interview mit uns sprach das Melting Pot Music-Signing über die Entstehung seiner neuen Platte, die internationale Reichweite seines Schaffens, Ausflüge in die House-Musik und unreleaste Kollabos mit deutschen Rappern.
MZEE.com: Wenn man auf deine Facebook-Seite schaut, liest man immer wieder englische und französische Kommentare. Als Produzent musst du dir, im Gegensatz zu Rappern, keine Gedanken über Sprachbarrieren machen. Ist dieses Privileg wichtig für dich?
FloFilz: Es ist immer cool, wenn man international Menschen erreichen kann. Mit der Beat-Sache ist das natürlich einfacher, als wenn ich auf Deutsch rappen würde. Dann wäre ich in einer kleineren Sparte unterwegs, in der es schwerer ist, die Leute international zu erreichen.
MZEE.com: Du spielst auch immer wieder Gigs in Städten wie London oder Paris. Wie ist es dazu gekommen?
FloFilz: Ich weiß es gar nicht so genau. Kurz nachdem ich angefangen habe, hab' ich dem Typen vom YouTube-Channel "Majestic Casual" mal etwas geschickt. Der fand das irgendwie cool und hat es hochgeladen. Das war dann schon ziemlich groß – der Channel hatte bereits damals eine ordentliche Zahl an Abonnenten (mittlerweile mehr als drei Millionen, Anm. d. Red.) aus aller Welt. Dadurch war das Ganze wohl von Anfang an etwas internationaler.
MZEE.com: Welches war das entfernteste Land, aus dem du mitbekommen hast, dass jemand von dort deine Musik hört?
FloFilz: Wo war das noch mal … (überlegt) Ein Kumpel hat mir erzählt, dass in einem Hostel irgendwo mitten im kolumbianischen Dschungel meine Mucke gelaufen wäre. (lacht) Das war das Abgelegenste, was mir gerade einfällt. Fand ich natürlich cool.
MZEE.com: Sind die Rap-Kollegen manchmal neidisch, dass sie nicht so ein großes Spektrum an Leuten erreichen können?
FloFilz: Das weiß ich jetzt nicht. Ich denke mal, dass die meisten das nicht so negativ sehen. Es ist ja eigentlich immer cool, wenn man Leute erreichen kann, ob das jetzt in Deutschland ist oder international. Dafür verfolgen deren Sachen vielleicht mehr Leute hier in Deutschland. Ich hab' jetzt noch nicht mitbekommen, dass sich da mal einer drüber beschwert hätte. (lacht)
MZEE.com: Auf deinem neuen Album spielst du zum ersten Mal überhaupt auf einem deiner Tracks selbst auf deiner Geige – warum hast du so lang damit gewartet und es jetzt gemacht?
FloFilz: Ich war mir bisher immer ein bisschen unsicher, ob das zur Musik passt. Ich hatte da ein paar Bedenken. Aber man hat ja immer Bock, mal was Neues zu machen, Sachen hinzuzufügen und sich ein bisschen weiterzuentwickeln. Das hatte ich auf jeden Fall beim neuen Album geplant. Ich hätte auch gerne auf noch mehr Tracks ein bisschen was mit der Geige aufgenommen, aber das hat zeitlich nicht geklappt. Sonst hätte ich sicher noch ein paar andere Sachen probiert. Ich hab' gemerkt, dass es aus meiner Sicht ganz gut funktioniert und sich auch gut in die Musik einfügen kann. Dann hab' ich das jetzt einfach mal gemacht. (lacht) Da könnte beim nächsten Projekt mehr kommen.
MZEE.com: Was sind für dich die Unterschiede zwischen "Cenário" und dem Vorgänger "Metronom"?
FloFilz: Ich hab' zum Beispiel auf zwei Tracks mit Olivia Wendlandt, der Sängerin von Relaén, zusammengearbeitet. Sie hat beim Intro gesungen, teilweise auch Keys dazu eingespielt und bei einem weiteren Track den Gesangspart übernommen. Vocals sind bei mir ja eine Neuerung, "Metronom" war komplett ohne Rap, Gesang oder Sonstiges.
MZEE.com: Hat sich für dich etwas an deiner Produktionsweise und somit auch am Sound geändert?
FloFilz: Ich hab in den zwei Jahren zwischen den Alben soundtechnisch auf jeden Fall ein paar Sachen dazugelernt, beim Mischen, beim Equalizen … Das Arrangement, zum Beispiel beim Intro, ist schon etwas ausgeklügelter als nur ein Sample und ein Loop. Es hat sich halt entwickelt. Trotzdem sind natürlich weiterhin die klassischen Beats auf der Platte, wie auf "Metronom" auch. Insgesamt ist es ein bisschen feiner und ausgeklügelter geworden. An sich mach' ich aber eh den Sound, auf den ich Bock habe – und an den Grundlagen hat sich da nicht viel geändert.
MZEE.com: Wie stehst du zu alten Platten von dir? Gefallen dir die durch die Bank oder bist du, ähnlich wie viele Kollegen, sehr kritisch, auch wenn sich dein Sound nicht allzu sehr geändert hat?
FloFilz: Es gibt natürlich immer einzelne Tracks, bei denen ich jetzt andere Drums nehmen oder die ich anders mischen würde – einfach, weil ich jetzt so viel dazugelernt hab'. "Duplex", mein erstes Projekt, das auf Platte rausgekommen ist, war auch nicht so richtig geil abgemischt und gemastert. Aber was die Beats und das Gesamtbild angeht, gibt es nichts, bei dem ich sagen würde, dass ich mir das überhaupt nicht mehr anhören könnte. Ich hör' mir meine alten Sachen eigentlich nicht mehr an, aber ich bin zufrieden damit.
MZEE.com: Producer wie Dexter und HulkHodn haben dich vor Jahren dazu gebracht, selbst mit dem Produzieren anzufangen. Wie siehst du zum Beispiel die Entwicklung eines Dexters, der heute kaum noch Beats macht, die wie die "Jazz Files" klingen, die dich ja sehr inspiriert haben?
FloFilz: Ich find' seinen Sound immer noch cool. Es ist eh immer cool, wenn Leute experimentieren. Wie zum Beispiel bei "The Trip", als er mit Psych-Rock-Samples gearbeitet hat. Er hat bis heute trotzdem immer seinen Sound behalten. Man erkennt bei einem Dexter-Beat eigentlich immer, dass er von ihm ist, find' ich. Beim Fatoni-Album ist er ja bei einigen Beats fast ein bisschen in die Trap-Richtung gegangen. Dazu hat er aber auch immer coole Samples verarbeitet und es ist einfach ein schöner Sound dabei herausgekommen, den man sich gut anhören kann.
MZEE.com: Du hast mittlerweile deinen Master-Abschluss in Musik. Ist der eine große Hilfe oder manchmal auch ein Fluch?
FloFilz: Ein Fluch auf keinen Fall. Aber wenn ich einen Beat produziere, gehe ich nicht nach irgendeiner Theorie oder Sonstigem vor. Ich arbeite meistens eh mit Samples und habe das Material quasi schon. Indirekt hilft mir der Master bestimmt irgendwie. Insofern, dass man einfach das Ohr dafür hat, wie sich eine Bassline gut anhören könnte oder wie Harmonien gut zusammenpassen, wenn ich zum Beispiel noch ein Saxofon zu einem Sample hinzufügen will. Und die Geige könnte ich auch nicht einspielen, wenn ich das nicht studiert hätte. (lacht) Die war ja mein Hauptinstrument im Studium.
MZEE.com: Mit dem Studium bist du fertig. Arbeitest du jetzt in einem Beruf in dem Bereich?
FloFilz: Ich hab' auf jeden Fall vor, in einem Orchester zu spielen. Das hab' ich eh schon viel gemacht, zuletzt war ich für ein halbes Jahr im Praktikum bei einem professionellen Orchester in Köln. Das ist schon mein Ziel. Die Beatsache will ich natürlich auch weitermachen. Da muss ich schauen, wie das nebeneinander gut laufen kann. Ich hab' auf jeden Fall immer Abwechslung – Klassik im Orchester und HipHop sind ja zwei verschiedene Welten. Dadurch ist das umso spannender.
MZEE.com: Auf dem Album ist zweimal Olivia Wendlandt als Sängerin zu hören. Der Sound ihrer Band Relaén passt meiner Meinung nach perfekt zu deinem. Wie seid ihr in Kontakt getreten?
FloFilz: Das lief damals über den Tom, der bei Melting Pot Music gearbeitet hat. Der etabliert jetzt gerade sein eigenes Label und kümmert sich da auch um Relaén. Das Album von denen kommt über Wadada Records jetzt noch mal auf Vinyl raus. Da sind dann unter anderem Remixe von HulkHodn, Melodiesinfonie und mir drauf. Jedenfalls kannte Tom die Olivia und ihre Band und hat den Kontakt hergestellt. Die haben meine Sachen allerdings auch schon vorher gefeiert, genauso wie ich ja ihre auch. Und dann hatte Olivia direkt Bock, was mit mir zusammen zu machen.
MZEE.com: Rapper dürfen auch auf "Cenário" wieder nicht ran. Du sagst, dass du aus der deutschen Rapszene eigentlich fast nur Retrogott und eloQuent verfolgst. Wäre da mal eine Zusammenarbeit denkbar?
FloFilz: Mit Retrogott hab' ich etwa vor einem Jahr mal einen Track gemacht. Der ist aber noch nicht draußen. Der wird, glaube ich, auf einem Projekt sein, das demnächst irgendwann mal rauskommen soll … Das sollte eigentlich schon draußen sein, aber sowas verschiebt sich ja gerne mal. (lacht) Auf dem Track ist auch Sonne Ra mit dabei. Was Deutschrap angeht, hab' ich ansonsten auch ein paar Sachen mit Joe Space gemacht. Da könnte ich mir auch noch mal was vorstellen, ich bin ja nicht komplett verschlossen. Im Allgemeinen find' ich es aber immer am entspannendsten, nur die Instrumentals und ein bisschen mein eigenes Ding zu machen. Aber es ist natürlich auch cool, wenn mal was dazukommt.
MZEE.com: Wie schon HulkHodn hast auch du angefangen, House-Musik zu produzieren – woher kommt die Begeisterung dafür?
FloFilz: Ich glaub', HulkHodn hat das auch schon mal irgendwo erklärt. Er hatte halt irgendwann einfach mal Bock, etwas schnellere Sachen zu machen, weil er gemerkt hat, dass die Leute da ein bisschen mehr abgehen. Und er hatte einfach Lust, mal etwas anderes zu machen. Ich find's cool, etwas zu experimentieren und Sachen auszuprobieren. Das ist ja wahrscheinlich bei jedem so, der längere Zeit eine Schiene fährt. Ich hatte dann Kontakt mit dem House-Produzenten Moomin aus Berlin. Der ist auch voll drin im HipHop-Ding und hat früher fast nur HipHop gehört und gemacht. Über ihn bin ich dann ein bisschen auf den Geschmack und näher an das House-Ding rangekommen. Wenn ich House gemacht hab', dann aber auch fast immer mit Jazz-Samples und so weiter, wie es HulkHodn auch macht. Der Sound ist eigentlich relativ gleich, nur der Aufbau und das Tempo sind anders.
MZEE.com: Hast du denn geplant, mal ein House-Projekt zu veröffentlichen?
FloFilz: Hauptsächlich hab ich' die Beats jetzt erst mal zum Spaß gemacht. Moomin hat allerdings auch ein eigenes kleines Label, bei dem er ab und zu Compilations auf Platte rausbringt. Da war ich auch schon mit zwei HipHop-Beats vertreten. Wir haben mal angedacht, vielleicht eine kleine EP mit zwei, drei Tracks rauszuhauen. Er fand die Sachen, die ich gemacht hab', auch cool und hätte die gerne herausgebracht. Das ist wegen des neuen Albums aber erst mal in den Hintergrund gerückt.
MZEE.com: Würde so ein Release denn unter dem Namen "FloFilz" herauskommen oder würdest du dir auch einen anderen Alias wie "Hodini" zulegen?
FloFilz: (lacht) Das müsste man dann noch überlegen. Ich bin eh immer sehr schlecht darin, mir Namen auszudenken. Müssen wir mal schauen.
MZEE.com: Wie bist du denn überhaupt auf "FloFilz" gekommen? Gut, der erste Teil erklärt sich durch deinen Vornamen …
FloFilz: Ich weiß das gar nicht mehr genau. Am Anfang hab' ich vor allem Remixe gemacht. Dann kam ich irgendwie auf den Begriff "Refill", weil ich ja quasi etwas neu aufgefüllt habe. Dann hab ich das irgendwie zusammengesetzt. (lacht) Keine Ahnung.
MZEE.com: Ich hab' dir noch ein Zitat vom Jazz-Musiker Eugene Chadbourne mitgebracht. "I play music that I myself would like to hear at a concert. Since nobody else makes this kind of music, I play it myself." – Trifft das auf dich aktuell auch zu?
FloFilz: So hab' ich jetzt nicht gedacht, als ich angefangen habe, Musik zu machen. Ich hatte einfach Bock, in diese Richtung zu gehen. Es gab ja auch schon genug Leute, die in die Richtung geile Mucke machen, ich war da kein Pionier. Meine Motivation war einfach, dass ich Bock hatte, diesen Sound zu machen. Nicht, dass ich etwas mache, was noch kein anderer zuvor gemacht hat.
MZEE.com: Hast du zum Abschluss drei Musiktipps für unsere Leser? Egal, aus welchem Genre – ich hab' zum Beispiel durch das Olivia Wendlandt-Feature mal in Relaén reingehört und war begeistert …
FloFilz: Ich finde auf jeden Fall die aktuellen Sachen von Tom Misch cool. Das ist ein Produzent aus England, der gerade voll abgeht. Er ist eigentlich Gitarrist, spielt dazu noch Geige und macht so eine Mischung aus HipHop, Soul und Funk. Er ist auch ein netter Typ – ich hab' ihn im vergangenen Jahr mal kennengelernt. Ansonsten hat D. N. Hürter über das neue Label von Hubert Daviz die EP "Lew Zealand" rausgehauen. Die findet man auch auf SoundCloud … schöner Sound. Und vor einiger Zeit hab' ich den Rapper McKinley Dixon entdeckt. Der hat im vergangenen Jahr eine EP rausgebracht, bei der er mit einer Band zusammengearbeitet hat. Die fand' ich auch echt cool, weil das etwas ist, was man so nicht alle Tage hört.
(Alexander Hollenhorst)
(Fotos von Robert Winter)