Mit "Forever Ying" brachte der Berliner Damion Davis am 30. September seine neue Platte auf den Markt und startet nach drei Alben, zwei Mixtapes und Beteiligungen an Filmen damit auch live wieder voll durch. Den Auftakt machte das Release-Konzert in Berlin – jetzt folgt die deutschlandweite Tour. Sind seine Auftritte sehr geprägt von Interaktion und Szene-untypischem, variablen Einsatz seiner Stimme, so haben wir ihn auch im Interview als sehr facettenreich erlebt. Wir sprachen mit ihm in der Beach Bar am Checkpoint Charlie in Berlin über das Leben in der Hauptstadt und menschliches Miteinander sowie wahren Respekt, den Ernstfall und verschwendete Zeit.
MZEE.com: Seit wann gibt's denn diese Strandbar? Die erscheint mir sehr neu.
Damion Davis: Drei bis vier Jahre. Als Berliner guckt man hier halt nicht wirklich rein und hängt auch nicht ab am Checkpoint Charlie. Ich selber hab' hier aber auch schon ein paar Mal gepennt, muss ich zugeben. Da haben wir Lagerfeuer gemacht und die EM oder Filme auf Leinwand geguckt. War richtig geil. Nachts ist hier nichts, alles ruhig.
MZEE.com: Klingt ja fast nach Landleben! Ich finde das immer so furchtbar, wenn ich aus meinem Friedrichshainer Kiez, nicht Simon-Dach, hier ins Eck komme. Das sind zwei Welten, ich komm da überhaupt nicht drauf klar.
Damion Davis: Ja, klar. Ich hab' hier ein Studio, in dem ich auch ein paar Songs für das Album aufgenommen hab'. Wenn ich dann aus dem Studio komme, laufe ich meistens durch bis zur Eberswalder Straße. Und das ist von der Architektur her so geil. Ich bin voll der Anti-Kapitalist, aber die Architektur ist überkrass. Hausvogteiplatz, wenn man da nachts spazieren geht, keiner auf der Straße ist … Also, ich bin ja in Friedrichshain-Prenzlauer Berg aufgewachsen. Ich kann das da nicht mehr sehen – nervt mich einfach.
MZEE.com: Ich hab' in Charlottenburg gewohnt, Wedding, Mitte, Friedrichshain … Ich mag Wedding am liebsten: Wohnung schön, Kiez schön, Leute nett.
Damion Davis: Genau, normale Leute, ein soziales Gefüge. Da rennt halt nicht die Masse an Pseudokünstlern durch, die sich anziehen, als wären sie Superstars – und dann sind sie im Inbound- oder Outbound-Bereich tätig. Die Fassaden sind kaputt, aber die Leute sind so fassadenmässig unterwegs. Das ist furchtbar. Wenig Zivilcourage und kein Miteinander auf der Straße. Viele Leute rennen da nebeneinander und machen keinen Platz. Wie sie sich auch geben … Jeder ist ein Maler … Und dann fragst du: "Kennst du Jean-Michel Basquiat?" – "Wer? Wer is'n das? 'N Schauspieler?"
MZEE.com: Ich glaube, mein meistgehörter Satz ist: "Sie sind die erste Deutsche, die mir hilft." Sei es Kinderwagen, Rad, was auch immer …
Damion Davis: Richtig krass! Ich achte da auch voll drauf. Das ist in meiner Theorie die Politik, die man machen kann: Dass man Leuten die Tür aufhält, aufsteht, wenn eine alte Frau sich setzen will. Wenn ein Typ an der Ecke steht, der irgendwie seltsam wirkt, einfach mal fragen: "Wie geht's dir?" … Letztens habe ich im Prenzlberg einen Unfall gesehen. So ein extrovertierter Typ mit Trailerpark-Tattoo kommt in die Bahn. Man merkt, dass ihn etwas bedrückt. Fuchtelt mit seinem Handy rum, steigt aus, geht vor die Tram und Bumm: Ein Auto fährt ihn um. Ich bin vor ihm raus und wollte schnell über die Straße. Bin dann zurück, hab' ihm über die Straße geholfen. Da waren so Ordnungsamt-Frauen, denen hab ich gesagt: "Nummer aufschreiben, vielleicht fährt der ja weg." Auto fährt weg, Fahrerflucht. Kommt 'ne alte Frau zu mir: "Der ist selber schuld." Ich: "Der hätte sterben können." Die Leute stehen alle da und gucken, keiner reagiert, aber alle sehen aus wie Samariter und sind so Bob Geldof-mäßig unterwegs. Da kannst du dir vorstellen, was noch passiert durch Unfähigkeit oder fehlende Empathie der Leute. Das ist ja kein Helfersyndrom, das ist einfach das, was eine moderne Gesellschaft auszeichnen sollte: Dass man sich um seine Mitmenschen kümmert … Die Leute hängen alle in ihrer Timeline fest und an ihrem Telefon. Haben sich im Spiegel lang angeguckt, aber reflektieren ihre Umwelt nicht. Sowas macht mir besonders Angst in Szenevierteln. Da denkst du, die Leute sind gebildet, bisschen links unterwegs, humanistisch … Es gibt natürlich auch voll viele Leute, die lieb fragen – sind ja jetzt nicht alle so.
MZEE.com: Und wenn da einer liegt, der eventuell nur betrunken ist, vielleicht aber auch schlimmer – den kann man auch mal ansprechen.
Damion Davis: Ich hatte das neulich. Da waren Bauarbeiter und ein Typ lag mitten auf dem Weg. Und ich frag' die Bauarbeiter: "Liegt der schon lange da?" Und die so: "Äh, er da? Weiß ich nicht." – Okay, die haben gearbeitet … Aber: Wie viel verpassen die Leute denn auch an Positivem? Ich kann's ein bisschen nachvollziehen, dass man sich mit dem Negativen nicht beschäftigen will. Das muss auf jeden Fall geändert werden … Aber der erste Schritt ist, dass wir darüber geredet haben. Zivilcourage! Wenigstens ein 180-Grad-Blick. Wenn es dir selber scheiße geht, willst du das doch auch. Ist doch auch gut für das Selbstbewusstsein. Es ist ein schönes Gefühl, ein Lächeln zu kriegen – besonders in der Bahn und bei älteren Frauen und Männern ist das oftmals so. Das hebt die eigene Laune um bis zu 20 Prozent, wenn du so ein richtig ehrliches Lächeln in der Bahn kriegst.
MZEE.com: Es ist doch eigentlich immer einfach, für ein gutes Gefühl zu sorgen … Mädel auf der einen Straßenseite, Besoffener auf der anderen. Augenkontakt mit dem Mädel suchen, kurz zeigen: "Ich bin da. Wenn was ist, hab' ich dich auf'm Schirm."
Damion Davis: Richtig geil! Wir waren für 'nen Dreh in Dresden unterwegs und haben es die ganze Zeit nur "Sankt Dresden" genannt, weil die Leute alle so freundlich und lieb waren. Und als wir gerade drüber reden, steht ein Typ an der Straße. Wir zu ihm: "Kannst gerne rübergehen." Ich denk' mir so: Der bedankt sich bestimmt jetzt voll krass. Und er nickt nicht einfach nur oder winkt, sondern macht den Beter. Das ist schon fast ekelhaft. Wir haben dann auch lange darüber geredet, wie oft man sich in die Augen guckt und wie man sich bedankt: "Ey, danke!", oder: "Oh, vielen Dank." Das ist im Medienbusiness sowieso total derb, da sind die Leute so unfassbar … Wie oft ich wem geholfen oder einen Deal klargemacht hab' für jemanden – und dann hörst du kein Danke. Wenn mir irgendjemand was klarmachen würde, würde ich ihn zum Essen einladen oder sagen: "Wollen wir nicht mal einen trinken gehen?"
MZEE.com: Ich sage ja immer, dass ich arbeitslos bin, wenn ich keinen Bock hab', über meinen Job zu reden. Dann sind alle betroffen und lassen einen in Ruhe. Grade auf Partys, wenn Leute irgendwie eh nicht mit einem reden, bis sie hören, was man macht.
Damion Davis: Das ist bei mir auch ganz krass. Immer, wenn man an den Punkt kommt, dass es ums elitäre Business geht, die Leute voll cool, schick und in sind und man so richtig merkt, dass die das raushängen lassen, schalte ich ab. Dann denke ich: Die Treppe will ich nicht mitgehen. Das ist ganz oft so bei Schauspielagenturen und wenn man sich mit Businessleuten trifft. Ich werde dann krass schüchtern. Die ganze überirdische Musikszene – Starsein, Fame … Das ist überhaupt nicht mein Ding. Jeder Musiker in meiner Position sagt: "Ich würde schon gerne soundso viele Platten verkaufen." Aber so ist das schon gesund. Ich kann das Leben genießen und bin mit meiner Kunst motiviert, immer weiter zu machen. Ich kann jeden Tag mit der Bahn fahren und es gibt Leute, die einen anquatschen. Das ist aber so überschaubar, dass ich mit denen auch richtig reden kann. Bei vielen Künstlern, die vielleicht auch nette Leute sind, geht das schon gar nicht mehr. Dann wirst du irgendwann ein Arschloch. Wenn dich am Tag hundert Leute anquatschen, ist das sicherlich auch schwer. Ich kann mit jedem chillen und labern und sag' dann immer: "Respekt?! Wenn du Respekt vor mir hast, dann hab' auch Respekt vor deinem Müllmann." Auf meine Arbeit könnte man verzichten, auf den Müllmann kann man aber auf gar keinen Fall verzichten. Man kann aufs Restaurant, Kino, auf so viele Sachen verzichten und es würde einem vielleicht auch nicht wirklich wehtun. Auf den Müllmann nicht. Deswegen überleg mal – wie oft bist du am Müllmann vorbeigegangen und hast gesagt: "Vielen Dank, dass sie das machen"?
MZEE.com: Auf dem Land macht man das. Zwischen den Jahren: Geld und Wurst!
Damion Davis: Wurst und Geld! Da ist das Zusammenspiel zwischen den Leuten auch natürlich. Diese Stadt ist voll unnatürlich. Hier gibt es kein Feld mit Kartoffeln, keiner hat einen Garten. Wenn die Versorgung zusammenbricht, sind in der Stadt alle gearscht. Das ist eigentlich voll das hypermoderne, futuristische Leben, das wir führen. Dann schütten wir auch noch Sand auf Beton, um ein bisschen Idylle zu haben – dabei sind die Strände voll davon. Immer, wenn man im Urlaub ist, ist es geil. Das ist eigentlich unser Leben. Ich war jetzt mit meinem Sohn und meiner Familie auf 'nem Bauernhof … Da gehst du morgens raus, hast frische Luft, ein paar Tiere. Das ist einfach so eine Idylle – kein Autolärm, kein Gehupe, so will man leben. Und dann sackt die Seele auch ganz, das Unterbewusstsein geht mit dem Bewusstsein zusammen. Das merkt man dann: Alle kommen erholt aus dem Urlaub. Eigentlich sollte dieses Leben unser Urlaub sein, so sollten wir leben, in Harmonie und Idylle. Und nicht mit so einem Stress um nichts. Was produzieren die Leute denn hier? Was sind denn die essenziellen Aufgaben dieser Gesellschaft? Hier wird so viel Scheiße gemacht: Start up hier, Werbung da, irgendein Dreck. Die Leute verdienen natürlich Geld damit. Da kann ich aber auch nicht erwarten, dass sie, wenn sie vom Büro kommen, noch einen Blick für ihre Mitmenschen haben. Die Aufgabe, die sie haben, ist nicht von existenziellem Wert und hilft den Menschen überhaupt nicht weiter. Wenn du 'ne Werbeagentur siehst, die probiert, sich 'nen geilen Werbespruch für Coca-Cola auszudenken, obwohl doch alle eigentlich wissen sollten, dass es das letzte Getränk der gesamten Kette ist …
MZEE.com: Man kann aber auch Werbung machen für Proviant oder Rapunzel und Demeter, nachhaltige Klamotten …
Damion Davis: Genau! Das sollte grundsätzlich auch die Aufgabe sein: dafür zu sorgen, dass unsere Gesellschaft Fortschritt erzielt und nicht nur Kapital. Aber in unserer Gesellschaft geht es nur darum, dass das Kapital wächst. Ob dein Horizont oder die Seele wächst, du reich an Erfahrung und ein guter Mensch wirst oder gut zu anderen bist, spielt überhaupt keine Rolle. Und das ist auch das Krasse in der Kunst: Es geht nur um das Kapital. Die Charts zum Beispiel sind kein Indikator! McDonald's und Coca-Cola sind bestimmt die meistverkauften Lebensmittel, die es gibt, aber da bin ich doch nicht stolz drauf. Es gibt nur ganz wenige Idealisten im Indie-Bereich, die sagen: "Ist ein cooler Künstler. Auch wenn wir keine Mille machen – mit dem arbeite ich." Genau in dem Bereich bleibe ich. Da bin ich auch sehr froh mit meinem Manager, der kein Manager ist. Er ist ein Freund von mir, das ist cool. Er ist auch nicht aufs Geld aus, verarscht keine Leute. Und überall, wo wir bisher waren, sind nette Leute gewesen. Die kommen immer alle voll freundlich: "Wir haben alles vorbereitet, aber das oder das haben wir nicht." Und ich sag': "Ist egal, auch wenn 'ne Flasche Wasser da ist. Und wenn keine da ist, dann geh' ich in den Späti und hol' mir eine. Für mich ist schon überkrass, dass ich hier spielen darf." Es heißt ja auch für Musiker: Wir gehen spielen. Was gibt's da Geileres für 'nen erwachsenen Menschen als: "Was machste am Wochenende?" – "Ich geh' arbeiten." – "Was arbeiteste?" – "Ich geh' spielen." Ich geh' Musik machen, geiler kann's gar nicht sein. Wenn man jeden Tag an der Werkbank steht, weiß man, wie hart das Leben ist. Oder kennt es, mit dem Gefühl zur Arbeit gehen: "Ich hab' da gar keinen Bock drauf." Das passiert jedem von uns mal, aber im Endeffekt ist das Dasein als Musiker oder Künstler schon echt superkrass. Krasses Prestige – du sollst einfach nur du selbst sein.
MZEE.com: Ich glaube, man selbst zu sein ist das Härteste, was man machen kann. Man muss dann selbstreflektiert sein, verstehen: "Warum mag ich jemanden nicht, warum mag ich jemanden? Was wird hier projiziert?" Das ist schweineharte Arbeit …
Damion Davis: Ja, aber das macht man ja irgendwie automatisch. Ob privat oder mit der Arbeit – man gibt sich immer Mühe. Dann arbeitet man auch an sich, wenn man sich Mühe gibt, den Tag gut zu überstehen, was Gutes zu tun, Aufgaben zu erfüllen. Nur: Ich kenne das Gefühl halt nicht, dass ich für irgendjemand anderen arbeite. Nicht für den kapitalistischen Betrieb einer isolierten Person, zu der ich keine persönliche Bindung habe. Das würde ich nicht machen. Es sei denn, in die Schule gehen, studieren … Da ist das total okay, aber das hat keinen kapitalistischen oder finanziellen Wert. Ich kann auf jeden Fall behaupten, dass ich in meinem ganzen Leben nie für eine kommerzielle Einrichtung gearbeitet habe. Deshalb bin ich auch nicht reich. Aber im Endeffekt hab' ich trotzdem in krassen Autos und Appartements gesessen, ohne das gemacht zu haben. Hätte ich jetzt aber 40, 60 Jahre lang für Benz Coupé gearbeitet oder so, hätte ich ja nur noch zehn Jahre zum Genießen. Die ganze Zeit haste dagesessen und den Schalter bedient oder irgendeine Scheiße abgearbeitet. Das sage ich auch meinen Schülern immer: Ihr müsst das Bild der perfekten europäischen Familie gar nicht glauben. Oder das Bild des perfekten europäischen Typen. Das ist ein langer Weg bis dahin, dazwischen gibt's ziemlich viele Abfuckmomente. Deshalb sucht euch lieber etwas, wo ihr vielleicht nur ein Hemd habt und euch mal ein Auto leiht, dafür aber die Freiheit habt. Auf dem Werbeplakat sieht das immer total verlockend aus. Aber in der Realität?! Dieses Gefühl, das in dem Moment verkauft wird, kann man auch finden, wenn man ein wacher Mensch ist und wohin geht. Es gibt viele schöne Orte, die man besuchen kann, ohne Geld zu bezahlen oder auf den Malediven zu sein. Es gibt auch an der Mecklenburger Seenplatte geile Orte. Aber ey, mit dem richtigen Menschen oder auch, wenn du verliebt bist, spielt es keine Rolle, wo du bist. Da kannst du auch am Weissensee sitzen … Ich glaube auch, in Deutschland ist es unter den existenziellen Grundsicherungsmöglichkeiten verhältnismäßig, einfach zu sagen: "Ich gehe jetzt zum Arbeitsamt, aber mache trotzdem was." Ich hab' da nie ein schlechtes Gewissen gehabt, wenn ich mal beim Arbeitsamt war. Weil ich mir jeden Tag Mühe gebe und etwas erarbeite. Es gibt bei mir auch keine Tage, an denen ich mit meinen Kumpels chille und PlayStation zocke. Weil ich lieber mit Freunden zusammen bin, die musisch begabt sind. Entweder philosophieren wir dann oder ich hab' die ganze Zeit den inneren Drang, Musik machen zu müssen. Oder etwas zu fotografieren. Da steht nie was still, im Unterbewusstsein brodelt immer irgendwas mit. Den ganzen Tag gärt es und wenn du den richtigen Punkt triffst, kannst du das Blatt fluten. Dann gibt es so geile Runs, bei denen das richtig gut funktioniert … Es gibt aber auch viele Leute, die arbeiten in der Industrie und haben trotzdem diesen Hang. Die, die durch ihre Sozialisierung und das Aufwachsen nicht die Möglichkeit hatten, den Mut zu fassen, um zu sagen: "Ich mach' das." Ich weiß ja nicht, wie das in deinem Elternhaus ist, aber meine Eltern haben mir die Freiheit immer gegeben, das zu machen.
MZEE.com: Hundert Prozent Urvertrauen.
Damion Davis: Das ist ganz, ganz wichtig. Letztens in der Bahn saß ein kleiner Junge vor mir, der war circa 13. Er hat sich darüber Gedanken gemacht, wo er später seine Ausbildung macht und hatte von der Bundeswehr so eine Broschüre gekriegt. Neben ihm saß wohl seine Tante oder Cousine und neben mir saß noch ein Mann. Da hab' ich ihm gesagt: "Du bist so clever und wie du das grade deiner Cousine erklärt hast – so toll! Du kriegst überall 'ne Ausbildung. Informier dich. Geh dort nicht hin. Du wirst dann teilweise benutzt für Sachen, mit denen du gar nichts zu tun hast. Wenn du groß bist, stehst du einem anderem kleinen Jungen gegenüber und denkst dir dann: 'Jetzt muss ich dem etwas antun oder darf ihn nicht über die Grenze lassen.' Lass dich nicht benutzen, lass dich nicht instrumentalisieren. Such dir den Weg selber. Die Bundeswehr und die Armee müssen auch ganz viele Sachen machen wie den Irakkrieg. Dafür gab's eigentlich gar keinen Grund – das war alles erstunken und erlogen für eine neue Geostrategie der Amerikaner – und du hast dann das Blut an deinen Händen. Wie viele Leute kommen traumatisiert aus dem Krieg wieder? Da ist nichts Gutes bei. Humanitäre Hilfe – klar, das macht die Bundeswehr bestimmt auch. Man soll halt nichts grundlegend verteufeln. Aber so, wie ich dich einschätze, mit dem offenen Blick und so cool, wie du dich artikulieren kannst: Mach es nicht. Ich sitz' hier nur als Mitbürger und habe das mitgekriegt …" Dann sagt der Typ neben mir: "Das stimmt doch überhaupt nicht, die Bundeswehr ist doch total cool." Ich glaube, für viele Menschen ist es jedenfalls nicht gut, zur Bundeswehr zu gehen. Ich glaub', über die Zeit sind wir hinweg. Das sollte so nie wieder passieren …
MZEE.com: In der Flüchtlingshilfe hört man "Geschichten" von Menschen, die mit Kugeln über den Köpfen zur Uni oder in die Schule gehen. Und dann höre ich in Berlin manchmal die lauten Stimmen über "die Schmarotzer" …
Damion Davis: Das sollte wirklich jeder Bürger mal erlebt haben. Ich habe auch mit Flüchtlingskindern zusammengearbeitet. Bei den Willkommensklassen, die einen Musikkurs hier machen. Die haben auch davon erzählt und hatten noch die Brandverletzungen – mir sind beim Frühstück fast die Tränen gekommen. Kein Mensch soll so etwas erleben. So ein schwachsinniger Krieg, der da unten läuft. Unglaublich.
MZEE.com: Und hier sagt man dann "Schmarotzer" zu einem syrischen Kind …
Damion Davis: Ja, das wird noch ganz krass eskalieren. Da gibt's gar keine Hoffnung mehr. Was man selber macht, kann man sich ja noch überlegen, man ist mobil und flexibel. Aber im Großen und Ganzen habe ich, politisch gesehen, die Hoffnung verloren. Ich habe mich in den letzten Jahren öfters informiert, was man denn machen kann, wenn die Versorgung zusammenbricht. Stromausfall, Epidemie, Trinkwasserknappheit … Ich hab' dann auf jeder Party Leute angesprochen: "Kann ich dich mal was Privates fragen? Hast du oder haben deine Eltern ein Haus, wo jetzt kein Militär vorbeikommt?" Dann hat mir ein alter Freund erzählt, dass sein Bruder ein Haus hat – die bauen selber an, haben einen eigenen Brunnen und so weiter. Wenigstens für meinen Sohn habe ich dann noch mehr Verantwortung. Ich habe wirklich ein Jahr lang Leute gefragt, die ich ein bisschen kenne. Und nun hab' ich das Haus gefunden. Jetzt werde ich da hinfahren, in den Herbstferien, mit meinem Sohn. Wir werden uns das mal angucken. Der Regisseur, der auch dort wohnt, kann auf jeden Fall auch ein wenig kryptisch denken. Es ist halt so, dass ich daran interessiert bin, etwas für das Haus zu tun, irgendwie zwei Wochen Arbeitseinsatz dort zu machen. Mit der Bitte, dass, wenn es mal eine Krise gibt, wir dann kommen können. Früher hat Tucholsky auch gesagt: "Es wird Krieg geben." Und alle haben gesagt: "Ja, ja." Es gab immer Leute, die gewusst haben, was kommen wird. Und dann kommt da in der Politik das neue Notstandsgesetz raus …
MZEE.com: Es ist aber auch mies, das vor dem Wahlkampf auszugraben, obwohl es so eine olle Kamelle ist.
Damion Davis: Das hat alles wahlkampftechnische Gründe. Trotzdem krass, dass so etwas existiert. Verschwörungstheorien – da habe ich in Interviews noch gar nicht gesagt, was das eigentlich für eine Scheiße ist, dieses Abstempeln von Leuten, die probieren, kritisch zu denken und zu hinterfragen. Dass sie dann immer gesagt bekommen: "Du bist ein Aluhut, Verschwörungstheorie!"
MZEE.com: Es gibt aber solche Verschwörungstheorien und solche. Und dann ist da noch die Frage, wie man das auslebt – wie mit den Reichsbürgern … Das Problem habe ich aber auch mit radikalen Linken. Wenn ich sympathisieren muss, dann mit den radikalen Linken. Aber bei jemandem, der am Ostbahnhof Gleise anzündet, warum auch immer, denke ich mir: "Arschloch."
Damion Davis: Ich bin da auch eher auf der Gandhi-Schiene. Auch, wenn es über Gandhi viele private Sachen gibt … Ich meine nur die geschichtliche Person. Weil er probiert hat, wirklich komplett gewaltlosen Widerstand anzuschieben und an sich zu arbeiten. Der hat sich von den Leuten dann auch schlagen lassen und ganz lange gefastet. Zitronenwasser … wie in dem Film.
MZEE.com: Ben Kingsley!
Damion Davis: Der Film ist so krass, unbedingt angucken. Das ist so ein geiler Film. Schade natürlich, dass es ganz viele andere Geschichten über Gandhi gibt – wie er mit Frauen umgegangen ist oder jüngeren Mädchen … Grundlegend: Wenn man links eingestellt ist, heißt das für mich: humanistisch. Ohne Gewalt. Auch dieses ACAB-Ding. "SCAB", aber nicht "ACAB". Das ist völlig unreflektiert. Weil die Revolution eigentlich mit der Polizei und der Armee zusammen stattfinden muss. Dann hat man eine richtig gute Chance. Als "Ich hab Polizei" von Jan Böhmermann rauskam, war das ganz interessant, weil er ja mit einem Polizisten aufgewachsen ist. Sein Blick kommt aus der Richtung. Er hat da einfach mal behauptet, dass Bullen auch einen schweren Job haben.
MZEE.com: Aber gerade das Lied ist der größte Beweis dafür, dass manche Dinge ihren Kontext nie verlassen dürfen.
Damion Davis: Ich hasse den Song. Ich finde den furchtbar.
MZEE.com: In dem Konzept der Sendung passte das schon. Alleine auf YouTube aber ist das so diffamierend einer ganzen Jugendbewegung gegenüber …
Damion Davis: Gut, dass du das auch so siehst. Das war auch in der Zeit, in der die Anschläge waren. Und ich dachte: "Das ist genau das, was wir jetzt brauchen: Einen intelligenten Typen, der so dumm wie möglich versucht, irgendwas zu verarschen." Ich frag' mich auch, was Jan Böhmermann und die Sendung von mir wollen. Wollen die, dass wir uns Gedanken machen? Oder ist das wirklich nur so Kaugummi-Entertainment? So Öko-Kaugummi? Das hat für mich einfach keine Relevanz. Die ganze Sendung.
MZEE.com: Das ist halt das Typische: Weißer Mann in weißer Gesellschaft mittleren Alters mit den Benefits eines weißen Mannes, der versucht, sich über das System lustig zu machen, innerhalb dessen er überhaupt groß geworden ist. Man steht daneben und denkt sich: "Joa, is' recht."
Damion Davis: Dabei geht's halt auch viel um Quote. Und darum, was geil ist – so eine neue Sache der Jugendkultur oder der Medien. Hauptsache provokant. Das gibt's ja auch viel in der HipHop-Landschaft. Da wird manchmal auf eine smartere Art und Weise provoziert. Es geht trotzdem immer darum, zu provozieren.
MZEE.com: Sollen wir zum Abschluss noch über dein Album reden? Möchtest du was dazu sagen?
Damion Davis: Nein … Also, das komplette Album wurde von mir selber produziert. Alles selber gemacht. Ich hatte einen Ingenieur dabei, der denkt sich jetzt auch: "Arschloch. Da erzählst du vom Egoismus der Gesellschaft und schiebst dich dann selber nach vorne …" Das ist ein ganz, ganz echtes Damion-Album, weil die Musik auch von mir selber ist. Ein entspanntes Album. Ich mag die melancholischen Tracks auf jeden Fall. "Ende der Zeit" finde ich super. Der Bootstrack. Und "S-Bahnhof Wedding". Alles, was mit Melancholie zu tun hat, finde ich am allerbesten.
(von unserer freien Redakteurin Jasmin N. Weidner)
(Fotos von Cristopher Civitillo)