"Was?! Du kennst das nicht? Sekunde, ich such' dir das mal raus." – und schon öffnet sich die Plattenkiste. Wer kennt diesen Moment nicht? Man redet über Musik und auf einmal fällt ein Name – egal, ob von einem Song, einem Künstler oder einem Album –, mit dem man nicht so recht etwas anzufangen weiß. Und plötzlich hagelt es Lobpreisungen, Hasstiraden oder Anekdoten. Gerade dann, wenn der Gesprächspartner ins Schwärmen verfällt und offen zeigt, dass ihm das Thema wichtig ist, bittet man nicht allzu selten um eine Kostprobe. Die Musik setzt ein und es beginnt, was der Person so sehr am Herzen zu liegen scheint. In diesem Fall – was uns so sehr am Herzen liegt: Ein Auszug aus der Musik, mit der wir etwas verbinden, die wir feiern, die uns berührt. Ein Griff in unsere Plattenkiste eben.
Das Angebot an deutscher Rapmusik ist gerade in diesem Jahr so groß und vielfältig wie noch nie. Der ein oder andere mag bereits am Punkt der Übersättigung angekommen sein. Peinlicherweise ertappe auch ich mich dann gern in einem schwachen Moment dabei, wie ich mir die Frage stelle, ob früher alles besser war. Allerdings gibt es darauf einfach keine Antwort. Viele Künstler beziehen ihre Inspiration aus verschiedenen Quellen und wachsen mit der Veränderung ihrer persönlichen Lebensumstände.
Schmeiße ich nun den CD-Player an und lege nach einer gefühlten Ewigkeit mal wieder "Maske" ein, so bestätigt sich genau das. Dieses außergewöhnliche Stück Straßenrap vereint einfach Witz und erdrückende Bildhaftigkeit, wie man es sich wünscht. Trotz eingeschränktem Themenspektrum schöpft "Sido aus'm Block" alle Möglichkeiten aus. Er präsentiert dem Hörer komplett ungeschönt sein Leben und seine Innenwelt. Bringt er mich gerade noch mit unverkennbarem Kifferhumor zum Grinsen, erzeugt er schon im nächsten Moment so erdrückend ekelhafte Bilder, dass mir ebendieses Lachen im Halse stecken bleibt. Während ich also da sitze und mit dem Kopf zu "Glas hoch!" nicke, kommt mir die Frage in den Sinn, wie ich mich über die Jahre hinweg so von diesem Rapper entfernen konnte. Zugegebenermaßen war ich damals noch relativ jung und hörte Sido in erster Linie wegen seiner expliziten Texte. Außerdem brachte es einem die bewundernden Blicke seiner Kumpels ein, wenn man so etwas im Discman mitführte. Dieses Gefühl ist natürlich heute nicht mehr da, doch das schmälert keinesfalls den künstlerischen Wert von "Maske". Die Texte sind authentisch und einige Konzepte, beispielsweise der Dialog mit Olli Banjo auf "Taxi", wurden beeindruckend umgesetzt.
Auch wenn ich mit aktuellen Sido-Releases kaum noch etwas anfangen kann, hat er durch Alben wie "Maske" nach wie vor einen Platz unter den Rappern, die ich immer wieder gern höre. Seine Musik wuchs und veränderte sich in den letzten Jahren extrem mit seiner Persönlichkeit. Doch trotz weniger Mittel bewies er bereits im Jahre 2004 ein hohes Maß an Kreativität. Dadurch macht er auch heute noch klar: "Egal, wohin du gehst: Es kommt drauf an, wo du herkommst."
(Benjamin Borowitza)