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Wir haben 10 Rapper gefragt ...

Wie wichtig ist Realness im deutschen Rap 2016?

Wir haben uns die Mei­nun­gen von zehn Rap­pern zur Fra­ge nach dem Stel­len­wert von Real­ness im deut­schen Rap ein­ge­holt. Rede und Ant­wort stan­den uns Kool Savas, MC Bom­ber und Al Kareem, Mae­ckes, 4Tune und Biz­zy Mon­ta­na sowie Blut & Kas­se, Bos­ca, Djin und MOK.

Kaum eine Debat­te hat sze­nein­tern in der ers­ten Hälf­te die­ses Jah­res wohl der­ar­tig media­le Auf­merk­sam­keit erhal­ten wie die dar­über, wel­chen Stel­len­wert Real­ness im Rap hat oder haben soll­te. Ins­be­son­de­re ange­sto­ßen durch die Inter­views eines gewis­sen Ber­li­ner Sprech­ge­sangs­ar­tis­ten scheint ganz Rap­deutsch­land zu dis­ku­tie­ren: Ist es wich­tig, ob das, was ein Künst­ler äußert, auch einen bestimm­ten Bezug zur Rea­li­tät auf­weist? Muss ein Rap­per das, was er sagt, auch tat­säch­lich ver­kör­pern? Zumin­dest in den Anfangs­zei­ten von deut­schem Rap schien die Ant­wort dar­auf klar zu sein: Real­ness wur­de prak­tisch ein­stim­mig als not­wen­di­ge Tugend pro­pa­giert. Doch gera­de, weil sich die Sze­ne in den ver­gan­ge­nen Jah­ren stark gewan­delt hat und neue Künst­ler nicht nur musi­ka­lisch vie­les auf den Kopf stell­ten, ist das Dog­ma mitt­ler­wei­le alles ande­re als unum­strit­ten. Um ein brei­te­res Stim­mungs­bild zu die­ser Debat­te ein­zu­fan­gen, haben wir zehn deut­sche Rap­per mit unter­schied­lichs­ten Hin­ter­grün­den nach ihrer Mei­nung zur Realness-​Debatte gefragt: "Real­ness im deut­schen Rap – über­hol­tes Ide­al­bild oder immer noch ein Muss?"

 

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MC Bom­ber: Ich fin­de die­se Realness-​Debatte unin­ter­es­sant. Was für mich zählt, ist viel­mehr die Ori­gi­na­li­tät eines Rap­pers. Ein Typ kann der reals­te Streethust­ler sein – wenn er nur Ami-​Müll bitet, dann ist er eben nur ein Biter und somit ein Toy. Für mei­nen Geschmack soll­te ein Rap­per zwar immer ein Stück weit street sein, aber das ist kein Muss oder eine Regel. Anstatt mich mit ande­ren Rap­pern und deren Real­ness aus­ein­an­der­zu­set­zen, bin ich eher mit mir sel­ber und mei­nem Style beschäf­tigt … Find' ich interessanter.

4Tune: Weder noch. Wer auf Real­ness Wert legt – ob als Hörer oder Künst­ler – soll­te dies tun. Man muss sich aber im sel­ben Moment dar­über im Kla­ren sein, dass ver­krampft real klin­gen zu wol­len an eini­gen Stel­len kei­nen Sinn macht und zu sehr ein­schränkt. Leu­te, die sich gern mit rea­lem Rap befas­sen, haben oft eine sehr nega­ti­ve Mei­nung, wenn Künst­ler da einen ande­ren Weg ein­schla­gen. Das war schon immer so. Trotz­dem wür­de ich mir dahin­ge­hend mehr Offen­heit wün­schen. Inner­halb eines Batt­les zum Bei­spiel sage ich auch Din­ge, die ich in der Rea­li­tät natür­lich nie umset­zen wür­de. Dies ist aber kein Pro­blem, solang der Hörer intel­li­gent genug ist, da zu dif­fe­ren­zie­ren und zu mer­ken, was wie gemeint ist. Zum Pro­blem wird es immer dann, wenn Leu­te etwas für real hal­ten, nicht die dar­in vor­han­de­ne Über­trei­bung oder Mes­sa­ge ver­ste­hen und ihren Künst­lern nach­ei­fern. Die beneh­men sich dann oft wie die letz­ten Spas­tis, weil sie den­ken, das wäre cool.

Bos­ca: Da ich sel­ber sehr früh mit der Rap-​Szene und den sze­ne­ty­pi­schen Wer­ten und Idea­len in Berüh­rung gekom­men bin, ist die Ant­wort für mich ganz klar: Real­ness ist ein Muss! Doch was bedeu­tet Real­ness? Rap ist Musik und damit auch eine Form der Kunst. Kunst ist viel­fäl­tig und durch immer wie­der neue Ideen und Ver­mi­schun­gen von Sti­len bleibt die­se auch inter­es­sant. Im Zuge des­sen ent­stan­den dann auch diver­se Kunst­fi­gu­ren. Bedeu­tet: Künst­ler, die sich in ihrer Musik sowie ihrer Außen­dar­stel­lung in eine Rol­le bege­ben. Ich den­ke auch, die Kunst­fi­gur hat im Hip­Hop sei­nen Platz. Jedoch ist die Fra­ge, wie weit man sich damit aus dem Fens­ter leh­nen kann. Wenn Kunst­fi­gu­ren ande­re Leu­te belei­di­gen und sich dann bei etwa­igen Reak­tio­nen auf die Rol­le beru­fen, ist das defi­ni­tiv nicht okay. Rap ist eine Sze­ne, die somit auch gewis­se Rah­men­be­din­gun­gen hat – und an die hat man sich mei­ner Mei­nung nach zu hal­ten. Ich den­ke, man soll­te als Künst­ler ein­fach nicht sei­ne Kom­pe­ten­zen über­schrei­ten, wie man es im rich­ti­gen Leben ja auch nicht tun wür­de. Kaum einer geht durch die Stadt und belei­digt per­ma­nent wild­frem­de Leu­te, ohne auf eine Reak­ti­on gefasst zu sein. Ein wei­te­rer Punkt wäre das Ghost­wri­ting. Da unter­schei­den sich für mich näm­lich ganz deut­lich Inter­pre­ten von Rap­pern. Ein Inter­pret gibt ein­fach einen Inhalt wie­der, ein Rap­per muss jedoch sei­ne eige­nen Tex­te schrei­ben kön­nen. Mei­ner Mei­nung nach ist es in kei­ner Musik­rich­tung so wich­tig, sei­ne eige­nen Lyrics zu haben, wie im Rap. Da die The­men meis­tens per­sön­li­cher und tief­grei­fen­der sind, kann ich es nicht für gut befin­den, wenn sich soge­nann­te Rap­per kom­plet­te Alben schrei­ben las­sen. Rap ist etwas Per­sön­li­ches und dazu gehört auch Per­sön­lich­keit im Text. Des­halb sind für mich Leu­te, die sich ihre Songs schrei­ben las­sen, schlicht und ergrei­fend kei­ne Rapper!

Blut & Kas­se: Ich sehe das so: Es gibt Leu­te, denen ist das Gesche­hen um die Musik her­um egal. Die fei­ern, was ihnen gefällt – auch Rick Ross. Dann wie­der­um gibt es den Fan. Wenn man, wie in sei­nem Fall, einen Künst­ler fei­ert, ihn irgend­wann mal per­sön­lich trifft und dann plötz­lich merkt, dass er das tota­le Gegen­teil von dem ist, was er in sei­ner Musik vor­gibt zu sein, hört man die Musik im Nach­hin­ein anders. Per­sön­li­che, deepe, emo­tio­na­le Lie­der ver­lie­ren ihren Wert und haben plötz­lich einen faden Bei­geschmack oder wer­den direkt zu Plas­tik. Rap in sei­ner ori­gi­na­len Form ist ech­te Musik für die ech­ten Leu­te. Direkt, ehr­lich und vor allem mensch­lich. Fake, also unre­al zu sein, bedeu­tet auf Deutsch, falsch zu sein. Und das geht ein­fach unter ehr­li­chen Men­schen nicht klar. Des­halb ist, anders als bei ande­ren Gen­res, Real­ness auch ein so gro­ßes The­ma. Sei dahin­ge­stellt, ob es ein Muss ist oder nicht, real zu sein. Es ist auf jeden Fall eine Eigen­schaft, die bei vie­len in die­sem Gen­re geschätzt wird und somit wich­tig ist – nach wie vor. Da bleibt dann nur noch die eine Fra­ge: Was bringt Real­ness, wenn jemand schei­ße rappt?

MOK: Der Begriff "sell­out" hat­te mal ziem­lich gro­ße Bedeu­tung im Hip­Hop. "Each one teach one" hieß das Mot­to. "Each" und "teach" gin­gen immer klar, weil Hip­Hop nur ein Hob­by war. Sobald man dafür Geld bekom­men hat, war man sell­out … Das hieß: Du ver­kaufst unse­re Kul­tur, wir bekom­men nichts zurück. Genau dort liegt der Hase begra­ben, weil wir als Gemein­schaft leer aus­ge­hen. Ob real oder nicht, spielt kei­ne gro­ße Rol­le. Ob Fler oder Kol­le nun Gangs­ter sind, ist auch leicht zu beant­wor­ten: Sie sind es nicht, aber das bedeu­tet nicht, dass sie nicht real sind. Sie machen gute Musik und Enter­tain­ment für die, die sich damit unter­hal­ten las­sen. Wer auf Real­ness in einer unrea­lis­ti­schen Musik­welt hofft, kann lan­ge warten.

 

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Biz­zy Mon­ta­na: Also, ich für mich bewah­re mir mei­ne Real­ness. Ich gehe zur Arbeit, ich muss eine Fami­lie ernäh­ren. Und ich bin trotz­dem im Kopf teil­wei­se der 16-, 17-​jährige Rapfan, der meint, sei­ne Welt – und sei sie noch so skur­ril oder lang­wei­lig – mit ande­ren tei­len zu müs­sen. Ich kann nicht aus rei­nem Image-​Interesse Geschich­ten erzäh­len, um dann 500 Boxen mehr zu ver­kau­fen. Ist nicht mein Ding und war es auch nie. Ich komm' halt noch aus einer Zeit, in der die Musik im Vor­der­grund stand und nicht der Schlüs­sel­an­hän­ger oder das obli­ga­to­ri­sche schwarz-​weiße Shirt in Grö­ße L. Das ist mei­ne Sicht der Din­ge. Aber: Geht es um den Unter­hal­tungs­fak­tor, ist mir die Real­ness ande­rer Künst­ler rela­tiv egal. Wenn einer was kann, ist er gut. Wenn nicht, ist er wack. Da ticke ich ganz sim­pel. Ein­fach auch aus dem Grund, weil mich das gan­ze Geham­pel und die hun­derts­te Kokskilo-​Grenzschmuggel-​Aktion nicht inter­es­siert. Von daher: Lass sie gute Rap­per sein … Die Real­ness sei dahin­ge­stellt. Das soll­te jeder indi­vi­du­ell für sich ent­schei­den. Aber grund­sätz­lich hat ein biss­chen Real­ness noch nie­man­dem gescha­det. Peace out, Rabbit!

Al Kareem: Auf Tracks rap­pen, wie fly man ist. Und dann auf der Büh­ne beim Per­for­men auf den Boden gucken – geht nicht klar. Live macht den Unterschied.

Mae­ckes: Die Fra­ge ist ja im End­ef­fekt, ob man lie­ber einem ech­ten Zuhäl­ter zuhört, der nicht rap­pen kann, oder einem, der rap­pen kann und kein ech­ter Zuhäl­ter ist. Und im Rap gilt immer ein­zig und allein das Gesetz der Freshness.

Djin: Über­hol­tes Ide­al­bild. Aber eigent­lich schon immer über­holt. Kann man mit Fil­men ver­glei­chen: Der eine dreht ger­ne Dokus, der ande­re lie­ber Action­fil­me. Wer da irgend­wem sei­nen Geschmack auf­zwin­gen will und meint, es gäbe nur eine rich­ti­ge Rich­tung, ist ein eng­stir­ni­ger Idiot.

Kool Savas: Man soll­te sich fra­gen, wo Real­ness beginnt und wo sie auf­hört. Wäh­rend einer viel­leicht gro­ßen Wert dar­auf legt, nur von Din­gen zu erzäh­len, die auch tat­säch­lich so vor­ge­fal­len sind, steckt sich jemand anders einen grö­ße­ren Rah­men, in dem auch rei­ne Fan­ta­sie­ge­schich­ten ihren Platz haben. Am Ende ent­schei­det, ob man sich in sei­ner Haut und mit sei­nem Image wohl­fühlt oder nicht. Wich­tig wäre, zu erwäh­nen, dass das, was wir als Rea­li­tät regis­trie­ren, allein schon in der Wahr­neh­mung so unter­schied­lich ist, dass es kei­ne Norm geben kann, die fest­legt, was echt ist und was nicht. Ob man Rap­per, die ihre Fami­li­en hin­ter dem Rücken auf das Übels­te von oben bis unten belei­di­gen und sich Tage spä­ter wie­der als bes­te Freun­de prä­sen­tie­ren, real fin­det oder nicht, sei jedem selbst über­las­sen. In mei­nem Fall habe ich gemerkt, dass Ehr­lich­keit und Offen­heit bei deut­schen Rap­pern nicht gut ankommt, wobei ja dau­ernd behaup­tet wird, man wür­de gro­ßen Wert dar­auf legen – zum Bei­spiel in Zusam­men­hang mit Feature-​Absagen. Des­halb reagie­re ich am liebs­ten über­haupt nicht mehr auf Anfra­gen, statt ehr­lich zu erklä­ren, war­um ich gewis­se Musik – gera­de wenn ein inhalt­li­cher oder geschmack­li­cher Wider­spruch gege­ben ist – nicht unter­stüt­zen möch­te. Wenn ich zum Bei­spiel Bey­on­cé nach einem Fea­ture fra­ge und sie erklärt mir, dass sie mei­ne Musik nicht fühlt, dann müss­te ich total geis­tes­ge­stört sein, wenn ich mich dar­über abfu­cke und sie dann belei­di­ge, den­ke ich.

(Moritz Grä­f­rath & Flo­rence Bader)
(Fotos von Kai Bern­stein (Kool Savas), Franz Grü­ne­wald (Mae­ckes), Vita­li Gel­wich (MC Bom­ber), Ziry (AL Kareem), Chris Rei­ner (4Tune), Gra­fik von Dai­ly Puffy Pun­ch­li­nes)