Eine komplett in rot gekleidete Crew reist auf roten Fahrrädern, die gleichzeitig Instrumentenständer für Posaunen, Trompeten und ein Schlagzeug sind, durch ganz Deutschland. Voran fährt ein Typ mit einem Megafon, in das er Raptexte brüllt. So weit, so geil. Die Fahrradtour von Moop Mama mit spontanen Auftritten in vielen deutschen Städten erinnert an die ersten Guerilla-Gigs, mit denen die Band in ihrer Anfangszeit die Menschen begeistert hat. Mittlerweile sind Rapper Keno und seine Bandkollegen extrem gefragt in der deutschen Festivalszene. Mit dem aktuellen Album "M.O.O.P.Topia" ist die Crew außerdem auf dem besten Weg, ihre Bekanntheit noch weiter zu steigern. Unser Redakteur Alexander Hollenhorst hat mit Keno und den Posaunisten Peter und Jan daher über das neue Release, den Erfolg der Band, die Flüchtlingskrise und die Diskussionen darüber sowie die Zusammenarbeit in der Band gesprochen.
MZEE.com: Euer neues Album trägt den Titel "M.O.O.P.Topia". Wie hat man sich als Nicht-Bandmitglied den Ort M.O.O.P.Topia denn vorzustellen?
Keno: Wir hatten da keinen konkreten Ort vor uns. Aber wir haben gemerkt, dass wir uns in unseren Songs irgendwie immer mit den Themen "Urbanität" und "Stadt" beschäftigt haben. Also, nicht nur auf dem neuen Album, sondern auch schon auf den letzten. Wir hatten oft die Vision, dass die einzelnen Geschichten in der Gesamtheit eine Fantasiestadt ergeben, die natürlich ein bisschen überzeichnet oder utopisch gemalt ist. Manchmal ist es eine Utopie, manchmal eine Dystopie. Aber auf jeden Fall ein Ort, den es so nicht gibt, der aber aus den vielen einzelnen Geschichten, die wir erzählen, entstehen könnte. Das ist die Stadt, die wir uns vorstellen.
MZEE.com: Kannst du M.O.O.P.Topia denn beschreiben? Was hat diese Stadt für einen Charakter?
Keno: Also, ich würde sagen, es ist eine sehr, sehr gegensätzliche Stadt, deren negative Seiten sehr, sehr stark ausgeprägt sind – genauso wie die postitiven. Das sind halt die Pole, zwischen denen wir uns immer bewegen: die Sachen, die uns nicht passen, und die, die uns schon passen. Es ist auf jeden Fall eine Stadt, in der es Viertel gibt, die übelst gentrifiziert sind. (lacht) Aber da sind auch Leute wie wir, die durch die Stadt laufen und einfach ihr eigenes Ding machen und nicht so sehr darauf achten, was die anderen davon halten. Eigentlich ist es gar keine utopische Stadt, wenn ich es mir gerade so vorstelle. Eigentlich ist es eine ganz normale Stadt. Nur ein bisschen krasser.
MZEE.com: Wenn du die Wahl hättest – würdest du lieber dort leben, wo du gerade lebst, oder in M.O.O.P.Topia?
Keno: Ich lebe ja bereits teilweise in M.O.O.P.Topia. (lacht) M.O.O.P.Topia ist natürlich unsere Bandwelt. In der sind wir ja eh ständig – also, ich würde mal sagen, mindestens die Hälfte des Jahres. Da ist es die meiste Zeit auch ziemlich geil, aber manchmal hat man auch die Schnauze voll und will einfach nur nach Hause. Das ist wie im Urlaub: Es fühlt sich irgendwie eine Zeit lang ziemlich gut an, aber irgendwann braucht man wieder Urlaub vom Urlaub.
MZEE.com: Gibt es einen Ort auf der Welt, der M.O.O.P.Topia am nächsten kommt oder richtig ähnlich ist?
Keno: (überlegt) Würd' ich jetzt so nicht sagen. Ich glaube, das ist so ein zusammengesetztes Bild aus vielen Eindrücken, die wir haben. Diese Eindrücke schnappen wir natürlich oft auf Tour auf. Von daher ist es mehr so ein Kaleidoskop aus verschiedenen Orten, die wir schon gesehen haben. M.O.O.P.Topia ist aber nicht unbedingt ein Ort, den man sich genau ausmalen muss. Es beschreibt auch einfach ein bisschen unser Projekt, die Band Moop Mama – das ist ja auch irgendwie eine Utopie. Wir versuchen, da etwas zu kreieren, was wir selbst erschaffen. Alles, was wir in diesem Rahmen machen, gehört zu dieser Utopie dazu. Da gibt's auch fantastische Vorstellungen wie: "Wir wollen nicht normal auf Tour gehen, wir wollen mit zehn Fahrrädern auf Tour gehen und wir setzen das dann irgendwie um." Wenn wir über solche Sachen diskutieren, denken wir auch zwischenzeitlich mal über Boote und Flugzeuge nach und dann landen wir bei Fahrrädern. (lacht) Das ist halt die Utopie, die wir erreichen können. Aber auch ganz alltägliche Sachen wie das utopische Vorhaben, zu zehnt von der Musik zu leben – das kommt da für mich alles mit rein.
MZEE.com: Das waren alles utopische Dinge. Was sind denn die dystopischen?
Keno: Na ja, wenn du dir einen Song wie "Meermenschen" anhörst … Da ist ja eine Situation verbildlicht, die es in unserer realen Welt gibt, die sich dort schon dystopisch anfühlt. Und wenn man etwas verbildlicht, dann verdichtet man es ja immer. In dem Song wird das Land, auf dem wir sitzen, zu einer kleinen Insel, die wie eine Festung ist. Und außenrum ist ein Meer, das nicht aus Wasser, sondern aus Menschen besteht … Solche Bilder sind, wenn man sie sich im Kopf so ausmalt, schon dystopisch.
MZEE.com: Auf den Song kommen wir gleich noch mal zu sprechen. Jetzt geht's aber noch um M.O.O.P.topia im Allgemeinen. Gibt es dort noch Internet? Das würdet ihr ja laut eigener Aussage gerne löschen.
Keno: (lacht) Im Moment ist der Status in M.O.O.P.topia, dass wir eine Petition gestartet haben, das Internet zu löschen. Aber wir haben noch nicht so viele Unterzeichner.
MZEE.com: Das hat also noch nicht geklappt. Wie ernst ist der Song gemeint?
Keno: Na ja, die Frage kann sich eigentlich jeder selbst beantworten. Natürlich ist es relativ absurd zu sagen: "Komm, lösch das Internet." Jeder weiß genau, dass es nicht funktioniert, wenn man "Google" bei Google eingibt und dann ist das Internet weg. Der Song spielt ja eher darauf an, wieviel sinnlose Lebenszeit wir im Internet vergeuden. Ich meine, das ist ja sehr real und das, wogegen man sich zu wehren versucht. Wir haben zwischenzeitlich sogar mal diskutiert, ob wir "Lösch das Internet" als Albumtitel wählen wollen. Dann kamen selbst in der Band Antworten wie: "Hey, aber ich will doch gar nicht, dass das Internet gelöscht wird!" (lacht) Von daher … Wir sind ein demokratischer Haufen. Wenn einer dagegen ist, dann müssen wir das halt lassen.
MZEE.com: Du rappst in dem Song: "Mein Profil, meine Seite, mein Blog. Kein Ziel, keine Meinung, kein Bock" – ist dies für dich das Hauptproblem, welches das Internet mit sich bringt?
Keno: Ich find' halt, dass das Internet sehr zweischneidig ist. Gerade was die Social Media-Geschichte angeht. Man hat da eine Form der Vernetzung, die so noch nie dagewesen ist auf dieser Welt und die natürlich auch neue, krasse Vorteile im alltäglichen Gebrauch mit sich bringt. Du kannst innerhalb von Sekunden quasi alles haben. Aber es ist halt immer eine digitale Welt, in der man sich bewegt. Diese Vernetzung findet dadurch immer seltener zwischen zwei Menschen direkt statt, so mit Augenkontakt und echtem Anfassen und so. Das ist ja etwas, womit nicht nur wir uns befassen. Die ganze Welt nagt an diesem Problem. Jeder sagt irgendwie: "Ja, ist schon geil, aber irgendwie fühl' ich mich auch voll einsam, wenn ich so bei Facebook abhänge." Das ist halt ein Problem, das jeder hat.
MZEE.com: Denkst du, dass es aus dem Internetkonsum resultiert, wenn Leute kein Ziel, keine Meinung und keinen Bock mehr haben?
Keno: Ich würd' die Schuld jetzt nicht alleine dem Internet geben. (lacht) Es ist auch unsere eigene Verantwortung, uns Ziele, Meinungen und Motivation irgendwie zu erarbeiten. Aber wir leben einfach in einer Zeit, in der ein sehr starker Überfluss und Reizüberflutung da sind. Auch das ist so ein Generationsproblem. Wenn man "Generation Y" googlet, findet man tausend Artikel, die besagen: "Was ist denn das für eine Generation?! Die haben ja alle keinen Plan und keine Lust und keine Meinung." Und irgendwie stimmt es. Auf der anderen Seite glaube ich, dass wir gerade an einem Punkt sind, an dem auch sehr viele coole Ideen herumschwirren und irgendwann wird sich daraus vielleicht etwas entwickeln. Wir sind gerade in einer Zeit, in der man weiß, dass sich irgendwas ändern wird … Dass sich irgendwas ändern muss an unserer Gesellschaft. Wo das hingeht, weiß keiner. Es gibt genug Arschlöcher, die irgendwelche Vorschläge machen. Es gibt aber auch genug coole Leute, die Vorschläge machen. Mal schauen, wo es dann am Ende landet.
MZEE.com: Eure Musik ist in Deutschland immer noch ziemlich einzigartig. Wie kommt es, dass ihr noch nicht kopiert wurdet?
Keno: Das stimmt gar nicht. (lacht) Es gibt nicht nur Kopien, sondern auch andere Bands, die in einer ähnlichen Besetzung auftreten. Wir waren, denke ich, die ersten, die das so ernsthaft gemacht haben und deshalb auch schon am weitesten sind. Aber Brass-Bands gab's schon immer und ich glaube, es werden immer mehr. Es gab auch schon Brass-Bands mit fast gleicher Besetzung, die wir im Internet entdeckt haben und die uns covern. Das kriegt man jetzt nicht so krass mit, denn so eine Band wirst du nicht zufällig auf Facebook entdecken. Aber es gibt sie schon. Es gab sogar mal so eine ganz hässliche Jägermeister-Brass-Band, die sich dann verschiedene HipHopper als Feature eingeladen hat. Aber das war halt so ein Werbeevent, bei dem wir uns schon kurz gedacht haben: "Alter!" (lacht) Streich das! Ich will denen keine Promo geben!
MZEE.com: An die Bandmitglieder: Wie seid ihr ganz zu Anfang eigentlich darauf gekommen, eine Band mit einem Rapper zu gründen?
Peter: Ähm … das wussten wir vorher auch nicht so. (lacht) Na ja. Die Idee zu der Band hatte ja der Marcus, unser Saxofonist. Er hat Musik studiert und kommt aus dem Jazz-Bereich. Da ist es einfach so, dass du Musik machst, die eine sehr kleine Nische bedient. Und bei den Konzerten siehst du die Leute immer nur sitzen und nie abgehen. Dabei war Jazz in den 20er und 30er Jahren ursprünglich Tanzmusik. Das war, glaube ich, die Ursprungsintention vom Marcus. Und die hat uns Musiker und Bläser alle begeistert, da mitzumachen. Es war etwas, das es noch nicht so gab und wo nicht 15 Pseudointellektuelle der Musik frönen, um sich dann danach darüber auszulassen, wie toll jemand gespielt hat oder eben nicht. Es ist etwas viel Unmittelbareres, weil es Emotionen erzeugt, die sich sofort in Bewegung äußern und nicht in intellektuellem Beifall. (grinst)
Keno: Genau, der Marcus hatte genau diese Vision. Er hat die Band genau so, wie sie ist, zusammengestellt. Die Band ist von Anfang an als genau diese Band entstanden. Es gab keinen, der gesagt hat: "Ich bin hier und ich hol' mir jetzt mal ein paar Leute ran."
Jan: Es gab schon einige Versuche vorher. Marcus hat auch mal versucht, eine Big Band mit HipHop zusammenzubringen. Das scheiterte daran, dass es zu viele Leute waren. Für das Konzept waren da auch alle etwas zu jung und orientierungslos.
Keno: Ganz anders als jetzt. (lacht)
Jan: Ganz anders als jetzt.
Keno: Jetzt sind wir nämlich alt und orientierungslos. (lacht)
Jan: Es gab schon in den verschiedensten Konstellationen vorher Versuche, so ein Ding auf die Beine zu stellen. Es hat aber nie so wirklich geklappt, bis endlich der Punkt kam, an dem wir gesagt haben: "Jetzt lass uns mal nicht so rumwursteln. Der Marcus schaut jetzt, wen er haben will. Und dann funktioniert es vielleicht." Und dann hat es schlussendlich auch funktioniert.
MZEE.com: Und ihr kanntet euch alle schon vorher?
Peter: Zum Teil, ja. Also die meisten. Marcus kannte alle.
MZEE.com: Hättet ihr gedacht, dass ihr mit dieser Band so erfolgreich werden könnt, wie ihr es mittlerweile seid?
Keno: Wissen kann man das natürlich nie, aber wir hatten schon große Pläne. Marcus hat uns schon von Anfang an mit einem gewissen Größenwahn angesteckt. Ich glaube, ohne diesen Größenwahn hätten wir auch nicht so große Schritte gemacht, denn am Anfang braucht man sehr viel Vorstellungskraft, um am Ball zu bleiben. Wir hatten schon von Anfang an vor, dass das irgendwie fett wird. Aber planen kann man das natürlich nie.
MZEE.com: Wie blickt ihr auf die gemeinsame Zeit zurück? Was sind die Unterschiede im Vergleich zur vorherigen Arbeit – bei dir, Keno, mit anderen Rappern und Produzenten?
Keno: Da gibt's natürlich Unterschiede. HipHop-Musik entsteht ja normalerweise so, dass man irgendwo in einem Studio oder zumindest vor einem Rechner sitzt, einer den Beat macht und einer den Text schreibt. Das war ich vorher sehr gewohnt. Und dann stehen da plötzlich zehn Leute und man versucht, zusammen Sachen zu tun. Da muss man natürlich ganz neue Wege finden. Auf der einen Seite dauert alles sehr viel länger und geht nicht so einfach, das ist so ein bisschen der Nachteil. Auf der anderen Seite hat man natürlich immer die Power von zehn Leuten. Und wenn man zum Beispiel auf der Bühne steht, ist das einfach eine unglaubliche Wand. Wenn man irgendwann gelernt hat, damit umzugehen und nicht immer nur denkt: "Oh Gott, ich hör' mich nicht auf dem Monitor!", dann ist das halt richtig fett. Seitdem ich in dieser Band bin, will ich auf jeden Fall nicht mehr so gerne zu zwei Turntables und einem Mikrofon zurück.
MZEE.com: Du hast ja gerade noch ein Soloalbum rausgebracht. Denkst du trotzdem, dass du bei dem Band-Ding bleiben und nicht zu der Arbeit mit Produzenten zurück willst?
Keno: Rein musikalisch gesehen ist es auf jeden Fall total geil, mit einer Band unterwegs zu sein, gerade live. Aber ich würde schon sagen, dass ich auch weiterhin Bock hätte, mit einem coolen Produzenten zusammen im Studio zu sitzen und einfach Rap auf Beats zu machen. Das schließt sich ja nicht aus.
MZEE.com: Und was hat sich in der Arbeit für die Bandmitglieder geändert?
Peter: Man kann es gar nicht so auf den Rapper beziehen, finde ich. Der Unterschied für mich ist, dass ich jetzt meine eigene Band habe – das gab es vorher nicht. Die Projekte oder Sachen, in denen ich bisher mitgespielt habe, hatten einen festen Bandleader und du selbst warst ein gebuchter Musiker. Mal warst du mehr in die Band involviert und mal lautete das Motto: "Hier hast du dein Geld, passt schon." Früher warst du Dienstleister, jetzt bist du Teil einer Band und arbeitest einfach anders. Da ist es egal, ob das andere Bandmitglied Rapper, Trompeter, Saxofonist oder Schlagzeuger ist. Jeder ist einfach ein Bandmitglied, das seine Meinung zur Musik hat. Auf jeden Fall hast du mehr Bock drauf, weil es einfach dein Ding ist. Einen großen Unterschied zwischen der Arbeit mit einem Rapper und mit Instrumentalisten kann ich nicht feststellen. Zumal der Keno ja auch einen musikalischen Geschmack hat.
Keno: Oh, danke, Peter. Schön, dass du das sagst.
Jan: Ich komme ja nicht vom akademischen Musikpfad. Für mich ist interessant, dass man in der Band dieses geile "Jetzt!"-Gefühl und gleichzeitig auch den hohen akademischen Anspruch hat, dass es wirklich gut gemachte Musik ist. Das ist, glaube ich, schon etwas Entscheidendes. Dass wir nicht irgendetwas reproduzieren, sondern einfach versuchen, ein aktuelles Musikbild abzugeben.
MZEE.com: Wie sehr seid ihr in Kenos Schreibprozess eingebunden?
Peter: Das macht er eigentlich alleine. Er fragt ab und zu mal nach, wie wir eine bestimmte Zeile finden, aber letztendlich ist das schon seine Verantwortung. Ich hab' da zwar eine Meinung zu, die ich auch sage, aber ich kann ja keine Raptexte schreiben.
MZEE.com: Steht ihr immer zu 100 Prozent hinter dem, was er sagt?
Jan: Was die Selektion betrifft, entscheidet Keno am Ende schon, was zu einem Lied oder Text wird. Aber ich denke, viele Themen und Ideen kommen ja auch in der Band auf, wenn wir unterwegs sind. Dinge, über die wir uns unterhalten oder die wir aufschreiben. Ich denke, wir haben da schon so eine gewisse Stimmung in der Band – mal mehr, mal weniger konkret. Von daher ist mir gerade gar keine Situation bekannt, in der man sich denkt: "Was soll denn das jetzt, wieso schreibst du das?"
Peter: Der grundsätzliche Konsens ist da. Man würde vielleicht Sachen anders formulieren, aber im Prinzip stehen wir zu 100 Prozent dahinter. Ich glaube auch, dass es anders nicht funktionieren würde. Also, wenn Keno etwas schreiben würde, womit einer von uns wirklich ein Problem hätte, dann …
Keno: Dann würden wir es höchstwahrscheinlich ganz langwierig ausdiskutieren und am Ende irgendwie rausfinden, wo wir gemeinsam stehen. (lacht) Es gab ja auch ein oder zwei Diskussionen in der Band. Aber das ist auch cool, weil wir mehrere Menschen sind, die sich miteinander mit Sachen auseinandersetzen. Das ist ja auch für mich als Texter manchmal gut. Ich würde mir sogar teilweise wünschen, dass ich mehr Feedback bekommen würde. Manchmal bin ich auch froh, dass ich das alleine machen darf. Aber es ist cool, wenn Ansichten und Meinungen wachsen, wenn man sie mit verschiedenen Leuten diskutiert.
Peter: Letztendlich ist das bei der Musik genau dasselbe. Wenn jetzt ein Stück entwickelt wird und da ist irgendeine harmonische Wendung drin, die jemand total scheiße findet, dann wird das auch artikuliert. Man kann schon sagen, dass jeder zu 100 Prozent hinter dem steht, was auf der Bühne passiert. Klar gibt es Sachen, die einem besser oder weniger gut gefallen. Aber es ist schon so, dass man sich damit identifiziert und sagt: "Das ist meine Band." Und man findet das geil, was man macht.
Jan: Manchmal ist es schon die Befriedigung, sich an irgendeinem Detail, das wahrscheinlich von außen niemand merken würde, fast zu zerfleischen und dann zu wissen: "Wir haben alle zu dem Ding beigetragen."
Keno: Es ist genauso wie mit allen anderen Sachen auch. Eine große Band hat den Vorteil, dass viele Stimmen und viele Energien zusammenkommen … und den Nachteil, dass halt alles sehr langwierig ist. Deshalb ist es auch so, dass man merkt: Diese Sache macht eher der, diese Sache macht eher der … Und dann entwickelt man auch das Vertrauen, dass derjenige das, was er macht, cool hinkriegt.
MZEE.com: Das Lied "Meermenschen" behandelt die Flüchtlingsthematik sowie Gedanken und Stimmen dazu. Wie sehr beschäftigt euch das Thema?
Keno: Das ist natürlich von Person zu Person unterschiedlich. Aber ich glaube, es ist ein Thema, das im Moment einfach jeden beschäftigt. Also, wen das gar nicht beschäftigt … Ich weiß nicht, was man dann noch machen muss. Eigentlich geht das gar nicht, glaub' ich.
MZEE.com: Definitiv, nur beschäftigt es natürlich jeden auf eine andere Weise. Ich höre leider auch von genug Menschen nur, dass sie das alles nicht mehr hören können und es ihnen auf die Nerven geht.
Keno: Ja … Das kann ich irgendwie nachvollziehen, aber es ist schon ziemlich assi, das zu sagen. (lacht) Das Problem ist, dass dies ein Thema ist, das jeder die ganze Zeit mitbringt und zu dem keiner die Lösung weiß. Deshalb hat man irgendwann die Schnauze voll davon, aber so löst man das Problem auch nicht. Für mich war eigentlich genau das der Anlass zu "Meermenschen." Ich wollte da nicht versuchen zu sagen: "Hey, pass auf, ich weiß, wie es zu laufen hat." Weil das eben so krass und groß ist, dass ich es albern fände, mich hinzustellen und irgendeine Lösung anzubieten. Es hat mich mehr dahingeführt, einen Song über dieses Gefühl zu schreiben: Da ist ein Riesenproblem auf dieser Welt und keiner weiß eigentlich, wie man damit umgehen soll. Natürlich gibt es viele gute Vorschläge und jeder redet gleichzeitig, so ungefähr. Ich bin da sehr emotional auf der Gefühlsebene herangegangen. Ich denke, das bildet der Song auch gut ab. Das sind ja immer Sachen, die auch in der textlichen Herangehensweise immer sehr schwierig sind, weil man auch ein bisschen sprachlos davor steht.
Jan: Mir ist bei dieser Thematik wichtig, dass man erst mal zu einem gewissen Grad überlegt und menschlich eine Position bezieht. Die Leute, die unübersehbar sind, vertreten meist eine Position, die nicht so menschlich ist.
Keno: Das ist ein guter Punkt. Ich hab' gerade auch gemerkt, dass ich ganz viel geredet und wenig gesagt habe. (lacht) Es ist wahnsinnig schwer, da Position zu beziehen. Aber das, was Jan gesagt hat, trifft es genau auf den Punkt. Wir wollten auf einer menschlichen Ebene Position beziehen. Denn das, was wir da gerade beobachten, ist eine menschliche Tragödie. Und manchmal wird das vergessen. Auf einer menschlichen Ebene kann man dieses Thema nicht ignorieren und sagen, es ginge einem am Arsch vorbei. Das geht einfach nicht, wenn man keinen Unterschied zwischen zwei Menschen machen will.
MZEE.com: Genau das sprichst du ja am Ende des Songs an. Wenn es um das Thema geht, sprechen wir die ganze Zeit eben nicht über Zahlen, sondern über Menschen. Wieso vergessen das scheinbar so viele?
Keno: Schwer zu sagen. Aber ich glaube, dass die Leute es doch irgendwie immer schaffen, eine Distanz aufzubauen und zu sagen, dass es nur in der Glotze oder bei Facebook passiert. Aber das stimmt halt nicht. Es passiert in der Realität und da sind Menschen, die gewisse Schicksale erleben. Dahin führt der Song. Ich habe auch bewusst das Bild der "Meermenschen" gewählt. Es werden so viele Sachen gesagt wie "die überschwemmen uns" – solche Sätze fallen ständig. Als wären das eben keine Menschen, sondern "etwas," das uns überrollt. Lawinen-ähnliche Bilder werden die ganze Zeit gezeichnet. Das Bild wollte ich in dem Song einfach mal so krass vor Augen führen. Damit man merkt, dass es eigentlich übel ist, wenn man das so sagt.
MZEE.com: Denkt ihr, ein Künstler, der in der Öffentlichkeit steht, hat die Pflicht, sich auch in der Musik mit der Thematik auseinanderzusetzen?
Peter: Ich weiß es nicht. Pflicht würde gleichzeitig implizieren, dass man allen, die sich nicht äußern, unterstellen würde, sie unterließen etwas, was sie tun müssten. Das ist ja jedem selbst überlassen.
Keno: Bei manchen ist es ja auch besser, wenn sie die Fresse halten. (lacht)
Peter: Gibt's auch, genau. Na ja, der Anstoß zu dem Song kam ja von Keno. Ich als Bandmitglied fand's cool, dass es passiert ist und er den Song schreiben wollte. Ich glaube, das kann nur jeder für sich selbst persönlich beantworten, ob er das machen will oder nicht.
Keno: Ich würde auch sagen, du kannst niemanden dazu verpflichten. Aber wenn ich mir vorstelle, dass mir sehr viele Leute zuhören, hab' ich das Bedürfnis, Sachen zu sagen, die mir wichtig sind. Dabei entscheide ich immer noch selber, ob ich jetzt über dieses oder jenes Thema spreche. Und ich will auch niemandem vorschreiben, irgendetwas zu tun. Von manchen Künstlern will ich auch einfach nur Entertainment und keine politischen Statements oder sonst was. Aber mir persönlich gebietet so eine Öffentlichkeit schon irgendwie, Dinge zu sagen, die verwertbar sind. Das muss nicht immer politisch sein, aber ich möchte schon Inhalte haben.
MZEE.com: Was denkst du, welchen Einfluss hat das?
Keno: Diese Frage ist immer superschwierig zu beantworten. Ich mach' mir darüber keine Gedanken, wenn ich einen Text schreibe, sondern eher darüber, was ich loswerden will. Klar, Musik kann superviel: Sie kann Leute zum Denken anregen, sie kann Gefühle vertonen, die jemand empfindet, und einen Soundtrack kreieren, zu dem was passiert. Aber ich glaub' jetzt nicht, dass man einen Song macht und dann ändert die Welt ihre Meinung. Es sind eher so Kristallisationspunkte, die man schafft. Manche Songs werden dann zum Soundtrack für irgendwas. Man liefert einfach nur seinen Beitrag. Ich denke nicht, dass ich mich als Künstler hinstellen und sagen kann: Ich mach' jetzt hier ein Kunstwerk und damit möcht' ich das und das erreichen. Das geht vielleicht auch, aber so denk' ich persönlich nicht.
MZEE.com: Kommen wir noch zu einem ganz anderen Thema. Das Video zu "Erfindung des Rades" ist augenscheinlich ohne viele Schnitte in langen Einzeltakes produziert worden. Wie viele Versuche habt ihr gebraucht?
Peter: Wir konnten gar nicht so viele brauchen, weil wir gar nicht so viel Pyro hatten. Letztendlich war die erste Strophe mit der Band-Choreo nach einem Take drin.
Jan: Nee, ich glaub', es waren zwei.
Keno: Eine Sequenz haben wir zweimal gemacht, eine Sequenz haben wir nur einmal gemacht.
Peter: Ja, genau. Die erste Sequenz mit den Fahrrädern haben wir nur einmal gemacht. Wir hatten nicht so viel Pyro und außerdem nur zwei Drehnächte eingeplant – eine für den ersten, eine für den zweiten Teil. In der ersten Nacht hat es dann aber so dermaßen geregnet, dass wir gar nichts machen konnten. Dann mussten wir alles in der zweiten Nacht machen.
MZEE.com: Wie lange musstet ihr üben, damit das alles so klappt? Die Choreo sieht schon ganz schön kompliziert aus.
Peter: Das mussten wir natürlich schon üben. Also, wir haben an zwei Tagen geprobt und es dann schon gemacht.
MZEE.com: Was verursacht denn eigentlich mehr Aufwand - ein mehr oder weniger "One-Take-Video" oder ein Video mit vielen Schnitten?
Keno: Die Vorbereitung braucht bei Ersterem deutlich mehr Zeit. Und die Nachbearbeitung, wenn alles richtig gemacht wurde, dann weniger. (lacht)
Jan: Nee, stimmt nicht. Die Nachbearbeitung dauert schon auch sehr viel länger. Je nachdem … Du brauchst zwar weniger Schnittzeit, aber hast mehr Bastelarbeit. In diesem Fall hattest du natürlich einen Take, der geiler geworden wäre, wenn wir es öfter hätten ausprobieren können. Dann kann man natürlich schon noch ein bisschen nachhelfen und eine ausgeblasene Fackel wieder anmachen und so weiter. Wenn man einen gewissen Anspruch mitbringt, dann sitzt man natürlich schon recht lang dran und fummelt daran rum. Ich glaube, im Endeffekt nimmt sich das nicht viel. Ein gutes Video braucht einfach immer Arbeit – egal, wie man es macht.
MZEE.com: Generell fällt auf, dass jedes der zu "M.O.O.P.Topia" veröffentlichten Videos einen ganz eigenen Stil und ein ganz eigenes Konzept verfolgt. Wie wichtig ist es für euch, dass sich die Videos so voneinander unterscheiden?
Keno: Wir beschäftigen uns natürlich schon intensiv mit jeder visuellen Umsetzung, aber dass die jetzt so unterschiedlich geworden sind, ist eher Zufall. Also, hätten wir jetzt immer mit den gleichen Leuten zusammen die Videos gemacht, wären sie sich vielleicht ähnlicher. Dass viel Arbeit drinsteckt, ist uns schon wichtig. Denn wir wollen ja nicht einfach irgendeinen visuellen Schrott ins Internet kippen, sondern dass es ein Hingucker ist.
Jan: Es ist ja bei den Songs auch so, dass sie irgendwie alle typische Moop Mama-Songs sind – was natürlich auch stark darauf beruht, dass wir die Songs machen. Wenn man sie sich im Einzelnen anschaut, wie sie stilistisch und vom Songwriting aufgebaut sind, sind sie aber auch sehr unterschiedlich. Ich finde, dass es dem nicht gerecht werden würde, wenn man das alles zwanghaft unter einen Hut bringen wollte. Wir dachten beim Album auch, wir müssten da irgendwie den roten Faden finden. Aber im Endeffekt ist es dann eine Geschichte aus vielen Einzelteilen, die trotzdem so stimmt – gerade weil sie so bunt geworden ist.
MZEE.com: Inwieweit sind die einzelnen Mitglieder dabei in die Ideenentwicklung involviert?
Peter: Da wird die Arbeit eher aufgeteilt, wie Keno das ja vorhin schon gesagt hat. Keno und Jan sind bei den Videos meist federführend, ich halt' mich da eher zurück. Ich sag' dann meine Meinung, aber das war's schon.
MZEE.com: Im "Lösch das Internet"-Video sind ja unfassbar viele Auszüge von irgendwelchen Internetseiten - wer hat das alles rausgesucht?
Keno: Christian Hundertmark hat das Video gemacht. Er ist eigentlich Grafiker und macht gar nicht so viel Videozeug. Aber er hat da viel Arbeit investiert, um einfach Internetzeug rauszusuchen.
MZEE.com: Aber er gehört nicht zur Band, oder?
Keno: Nee, nee.
MZEE.com: Man weiß es ja nicht, ihr seid so viele.
Keno: Nee, schön wär's. So einen richtigen Videospezialisten könnten wir eigentlich noch gebrauchen. Vielleicht sollten wir dafür einen Posaunisten rausschmeißen. (lacht)
Peter: Geht nicht, die machen schon so viel anderes Zeug.
Keno: Ah, schade. Dann denken wir noch mal drüber nach.
Jan: Doch den Rapper.
MZEE.com: Ihr übernehmt alle ziemlich viele Arbeiten rund um die Band, oder?
Keno: Definitiv, ja. Wir versuchen auch, das noch mehr herauszuarbeiten. Das macht unsere Schwäche, dass wir so viele Leute sind, die sich irgendwie alles teilen, zu einer Stärke. Wir versuchen schon, bei jedem irgendwelche Sachen zu finden, die er beitragen kann – ob im Hintergrund, organisatorisch oder sonst was.
MZEE.com: Keno, dein alter Creme Fresh-Kollege Fatoni ist, wie schon auf dem letzten Album, auf "M.O.O.P.Topia" nicht dabei. Wie kommt's?
Keno: Moop Mama hat sich ja zum Ende von Creme Fresh gebildet – da war Toni am Anfang auch noch mehr dabei. Er hat aber zu der Zeit auch Schauspiel studiert und dann hat sich das irgendwie auseinanderentwickelt. Toni ist ja im Moment sowieso solo krass unterwegs. Das ist schon länger so und nichts Neues. Jeder geht im Moment seinen eigenen Weg. Aber auf jeden Fall Grüße an Fatoni!
MZEE.com: Wie siehst du denn seine Entwicklung? Verfolgst du, was er macht?
Keno: Ja, total. Ich hab' das natürlich immer irgendwie mitbekommen. Aber wenn du die Entwicklung ansprichst: Ich bin totaler Fan, weil ich einfach richtig krass finde, was da so für Sprünge passiert sind. Gerade das letzte Album ist ein Hit und auch ziemlich brutal eingeschlagen. Ich war erst vor Kurzem bei einer seiner ausverkauften Tourshows und ich fand's super.
MZEE.com: Könntest du dir theoretisch ein Comeback von Creme Fresh vorstellen?
Keno: Du, vorstellen kann man sich viel. Alle Möglichkeiten existieren, aber es ist nichts geplant oder so.
MZEE.com: Das ist langsam ganz schön viel Konjunktiv hier, aber: Denkst du, dass ihr zusammen auch so "durchgestartet" wärt wie jetzt auf verschiedenen Wegen?
Keno: Hätte, hätte, Fahrradkette. (lacht) Vielleicht, keine Ahnung. Aber ich glaub' schon, dass die Entwicklung, die jeder für sich gemacht hat, uns beim künstlerischen Fortschritt geholfen hat. Ich finde, dass Toni, seitdem wir nicht mehr zusammen Musik machen, sein Profil als Künstler extrem verbessert hat. Er weiß jetzt einfach genau, was er will und ist sehr eigen geworden und sehr geil. Er hat all seine Schwächen irgendwie in Stärken umgewandelt … Und bei Moop Mama ist es ähnlich gewesen. Das ist einfach eine Entwicklung – man kann nicht sagen, ob es anders auch so passiert wäre. Braucht man auch nicht.
MZEE.com: Das stimmt. Die letzten Worte gehören euch!
Keno: Grüße an meine Mama.
Peter: (lacht) Ja, dann an meine auch.
(Alexander Hollenhorst)
(Fotos von Lena Semmelroggen)