"Einer der legendärsten deutschen Rapper aller Zeiten" oder "Nach dem ersten Album kam nicht mehr viel" – an kaum einem deutschen Rapper der ersten Stunden scheiden sich die Geister seit Jahren so sehr wie an Samy Deluxe. Für die einen hat er schon lange den ewigen Legendenstatus erreicht, für die anderen hat er sich genau diesen durch Experimente wie das "Herr Sorge"-Projekt auf ewig zerstört. Eines ist aber jedem klar: Egal, für welchen Sound Samy Deluxe aktuell steht – der Hamburger hat raptechnisch gesehen einiges drauf, wenn er denn will. Und genau das möchte der Baus of the Nauf mit seinem aktuellen Album "Berühmte letzte Worte" wohl wieder unter Beweis stellen. Ein Album, das nicht mehr mit Anleihen aus den Staaten oder großen Experimenten überzeugen soll, sondern zur Abwechslung wieder auf puren, klassischen Rap setzt. Um zu gucken, was Samy Deluxe wirklich in diesem Album sieht, was die Highlights seiner mehr als 20-jährigen Karriere waren und wie es um die politische Wirklichkeit für Migrantenkinder in Deutschland steht, baten wir den 38-Jährigen zum Gespräch.
MZEE.com: Dein neues Album heißt "Berühmte letzte Worte". Viele deiner Fans haben den Titel wörtlich verstanden und dachten, mit diesem Release beendest du deine Karriere. Erzähl doch mal direkt zu Beginn des Interviews: Was war deine Intention hinter dem Titel?
Samy Deluxe: Ich wollte mir mit dem Titel in erster Linie eine Art Korsett schnüren, das mich daran hindert, ein experimentelles Rap-Album zu machen. Das hab' ich im Prozess irgendwann gemerkt. Ich mach' ja immer sehr viele Songs und muss eher aussuchen, welche ich nehme, als krampfhaft neue Tracks dazuzubekommen. Vor ungefähr einem Jahr hatte ich dann schon viele Song-Gerüste und gemerkt, dass mir die Sachen, in denen ich etwas aus meinem Leben erzähle, gerade irgendwie mehr geben. Zum Beispiel der Song, den ich für meine Mum geschrieben habe. Das war einer der ersten, die das Album, wie es jetzt ist, geprägt haben. Ein paar andere Songs sind schon vorher entstanden; die kamen dann erst wieder dazu. Es hätten sehr unterschiedliche Alben werden können – daran gemessen, was ich an Material hatte. Ich hätte mich musikalisch sehr unterschiedlich darstellen können. Deshalb gibt's auch die drei Bonus-Songs, die mit dem Sound des Albums gar nichts zu tun haben, sondern eher trappig sind und Dancehall-Anleihen haben. So ein Album hätte ich auch machen können. Mit Bazzazian hatte ich auch noch Songs, die sehr poppig waren. Dann gab es noch viele ASD-ähnliche Sachen, die voll auf die Zwölf gingen. In denen habe ich zwar Double- und Tripletimes sowie wahnsinnige rhythmische Konstrukte ausgepackt, aber irgendwie nicht viel gesagt. Irgendwann im Laufe des Weges hab' ich entschieden, dass es für mich gerade am interessantesten ist, so ein klassisches HipHop-Album zu machen. Dafür steht der Titel. Wenn ich wüsste, es wäre mein letztes Album, dann wäre ich damit cool. Das sollte ein HipHop-Statement sein. Dann kam dieser Mama-Song raus und der Titel "Berühmte letzte Worte" in meinen Kopf und ich hab' überlegt, wie ich den mit Inhalt fülle. Danach war klar, was für eine Art von Songs ich auf dem Album haben will. Es sollte keine Biografie sein, aber jeder Song sollte etwas über meinen Stil und meine Weltansicht aussagen.
MZEE.com: Ist das Album das Statement, mit dem die Hörer dich in Erinnerung behalten sollen?
Samy Deluxe: Ja … Also, bevor ich das Album gemacht habe, wusste ich auch schon, dass ich bei "Sing meinen Song" mitmachen werde. Da hätte ich ja auch die Möglichkeit gehabt, im Zuge dessen ein poppiges oder ein Gesangsalbum zu machen. Aber ich dachte mir dann irgendwann: "Nee, ich werde ja in der Sendung auch 'der Rapper' genannt". Und wenn ich schon so eine breite Masse durch diese Sendung anspreche, will ich keine Sachen machen, die sich für mich nicht natürlich anfühlen.
MZEE.com: Als Samy Deluxe willst du also in ein paar Jahren für dieses klassische Rapding stehen, obwohl du auch andere Sachen gemacht hast.
Samy Deluxe: Es ist das, wofür ich jetzt stehen will. Genau in diesem Moment. Wofür man am Ende steht, ist ja noch eine andere Frage. Irgendwann werd' ich sterben, tausend Alben gemacht haben und manche Leute kennen mich nur vom Freestyle bei Oli Pocher. Das kann ich nicht beeinflussen. Wenn du so viele verschiedene Dinge in der Öffentlichkeit machst, kannst du nicht definieren, woran die Leute dich messen und wie sie dich in Erinnerung behalten.
MZEE.com: Wie blickst du auf deine Experimente in der Vergangenheit zurück?
Samy Deluxe: Das ist halt mein Weg. Viele andere Rapper haben nur einen Weg, können vielleicht auch nicht mehr und ziehen dann ihren Stil auf tausend verschiedenen Alben und Mixtapes durch. Bei mir gibt's halt immer wieder etwas anderes, das mich reizt. Manchmal sind es Melodien, manchmal Rapsachen – jetzt ist es der Ansatz, ein klassisches Rap-Album zu machen, das ich so auch von meinem Lieblingsrapper am liebsten hören würde. Manchmal ist der Ansatz aber auch, zu gucken, wie weit man Rap noch pushen und wie viele untypische Einflüsse man noch dazutun kann. Das jetzige Album ist auch kein Reißbrett-Album. Irgendwann hab' ich einfach gesehen, dass die Songs, die eher nach den klassischen Rezepturen gemacht wurden, die besten waren.
MZEE.com: Hast du denn irgendeinen Wunsch, wie du nach deiner aktiven Karriere in Erinnerung bleiben möchtest?
Samy Deluxe: Damit kann man sich natürlich verrückt machen. Man kann es eben nicht beeinflussen. Natürlich möchte ich lieber mit den schlauen und coolen, den gewagten oder den technisch brillanten Momenten in Erinnerung bleiben, statt damit, wen ich mal gedatet hab'. Aber das kann ich mir ja nicht aussuchen, also versuch' ich auch nicht, mich zu viel mit der Außendarstellung zu beschäftigen.
MZEE.com: Bereust du Dinge wie den Auftritt damals bei Oli Pocher?
Samy Deluxe: Nein. Ich bereue echt gar nichts. Es gibt ja mittlerweile so viele Kanäle, auf denen sich Leute Dinge reinziehen. Dadurch bekommen auch ganz unterschiedliche Leute etwas von mir mit. Manche kennen mich jetzt, weil ich auf dem Nena-Album gerappt hab', andere, weil ich auf dem Tabaluga-Album gerappt hab'. Und noch mal andere, weil ich auf dem Haftbefehl-Album gerappt hab'. Die Bandbreite, die ich mittlerweile abdecke, ist so groß. Da ist es verschwendete Zeit, sich darüber Gedanken zu machen, was wo wie ankommt. Ich bin immer froh über alles, was ich gemacht hab'.
MZEE.com: Letzte Frage zum Albumtitel: Gibt es generell "berühmte letzte Worte", die dich besonders berührt, beeindruckt oder beeinflusst haben?
Samy Deluxe: Ich hab' natürlich auch ein bisschen gegooglet, was berühmte letzte Worte sind. Ich hab' dann eher witzige Dinge gefunden, die mich inspiriert haben. Der Bombenentschärfer, der sagt: "Der blaue Draht. Ich glaube, es ist der blaue Draht". Viele andere letzte Worte sind allerdings eher klischeemäßig und langweilig. Aber ich lass' mich gerne noch positiv überraschen, was Leute da an Zitaten ausgraben und mir schicken.
MZEE.com: Kommen wir zum Soundbild des Albums. Deine letzten Alben klangen immer sehr verschieden. Welchen Sound hat "Berühmte letzte Worte"?
Samy Deluxe: Das Album ist auf jeden Fall sehr soulful auf irgendeine Art. Es sind viele Breakbeats mit Samples drauf, vor allem Vocal-Samples. Viel Rap, viel Textinhalt. Man kann das Album durchaus als Konzeptalbum bezeichnen, auch wenn sich das nicht so direkt zeigt.
MZEE.com: Wie würdest du das Konzept beschreiben?
Samy Deluxe: "Berühmte letzte Worte". (lacht) Das ist schon genug. Es ist ein inhaltsstarkes Album, das sich nicht so aufdrängt. Der Hörer denkt sich nicht die ganze Zeit: "Oh, der will mir jetzt etwas erzählen". Es passiert flowtechnisch und musikalisch viel, dem man gut folgen kann, ohne überfordert zu werden.
MZEE.com: Wie bist du auf Farhot und Bazzazian als Produzenten für die Platte gekommen?
Samy Deluxe: Mit Farhot hatte ich schon mal bei "Herr Sorge" zusammengearbeitet. Und Bazzazian hatte ja schon drei Beats auf dem ASD-Album. Die Zusammenarbeit mit ihm hat sich direkt daraus abgeleitet. Mit ihm hatte ich einen richtig guten Workflow. Ich fand den Sound von ihm bei den Dingern mit Afrob so gut, dass ich komplett von ihm überzeugt war. Wir verstehen uns auch privat gut und deshalb hab' ich ihn dann für das Album direkt angerufen und wenig später auf ein paar Beats von ihm aufgenommen. Die Songs sind dann erst nichts geworden, jetzt kommen sechs Beats von ihm. Sechs weitere stammen ursprünglich von DJ Vito, mir, Matteo und den Jungs aus der KunstWerkStadt. Die hat Bazzazian dann ausproduziert. Und zwei Beats sind von Farhot.
MZEE.com: Was macht für dich die Beats der beiden aus?
Samy Deluxe: Farhot ist einfach ein sehr verspielter Produzent, der viele eigenwillige Soundquellen benutzt. Er ist so ein kleiner Bastelfreak. Bei Bazzazian ist dagegen alles superklar und knackig, da hat alles seinen Platz. Er ist ein sehr guter Arrangeur. Sobald du ihm etwas schickst, holt er immer etwas Geiles aus dem Song raus.
MZEE.com: Das einzige Feature auf deiner Platte stammt von Megaloh. Wieso fiel deine Wahl gerade auf ihn?
Samy Deluxe: Der Song hat das gefordert. Er hat zwei Strophen und sollte eigentlich auch nicht mehr haben. Dann hatten Bazzazian und ich aber die Idee, den Beat innerhalb des Songs noch mal etwas zu verändern. Und als dann dieser zweite Instrumental-Part da war, hab' ich irgendwie sofort Megaloh darauf gehört. Dann hab' ich ihn gebeten, da mal was Geiles drauf zu dichten. Daraufhin hat er das gemacht, wie er das eben macht.
MZEE.com: Wenn man so viele Jahre im Geschäft ist und dann mal auf seine ersten Platten zurückblickt: Welchen Stellenwert misst du "Deluxe Soundsystem" heute für die Geschichte des deutschen Raps bei?
Samy Deluxe: Boah, ich weiß nicht. Darüber mach' ich mir nicht so viele Gedanken. Es ist natürlich einer der Klassiker dieser Deutschrap-Generation. Aber um es in den Gesamtkontext einzuordnen, kenne ich, glaub' ich, viel zu wenig Deutschrap und interessiere mich auch zu wenig dafür.
MZEE.com: Und wo würdest du das Album heute einordnen? Meinst du, dass es in der heutigen Zeit releast immer noch einen solch immensen Erfolg und Stellenwert hätte?
Samy Deluxe: Das ist ja ein komplettes Fantasieprodukt. Also, der Rest der Realität ist genauso, wie er jetzt auch ist, die Rapper, die gerade "in" sind, sind es auch, aber das Album würde jetzt herauskommen und keiner würde mich kennen?
MZEE.com: Genau.
Samy Deluxe: Na ja, dann wäre mein Album auch anders. Ich könnte ja in der jetzigen Zeit nicht das gleiche Album wie damals machen. Dinge sind immer geprägt von der Zeit, in der sie passieren.
MZEE.com: Könntest du es trotzdem in die heutige Szene einordnen, die ja auch vielfältiger als die von vor vielen Jahren ist?
Samy Deluxe: Ich wäre natürlich trotzdem der beste Rapper des Landes. Die Beats wären vielleicht etwas outdatet, aber trotzdem immer noch fetter als die der meisten Produzenten. Es ist echt ein gut produziertes Album, da muss ich Tropf und Dynamite Respekt zollen. Die haben das damals krass gemacht. Also, wenn ich das Album jetzt höre, gefallen mir die Beats auf jeden Fall deutlich besser als die Raps.
MZEE.com: Woran liegt das denn?
Samy Deluxe: Daran, dass ich die Beats nicht selbst gemacht habe und die einfach neutral feiern kann.
MZEE.com: Wenn du das Fantasiekonstrukt ein bisschen zulassen kannst – denkst du, dass dein Album immer noch Erfolg hätte und viele Menschen es feiern würden?
Samy Deluxe: Ja, natürlich. Die Leute hören das ja noch. Von den Rappern, die jetzt gerade "in" sind, hört keiner das letzte Album. Aber die Leute hören immer noch "Grüne Brille" und "Wie jetzt". Die werden ja auf Spotify immer noch gestreamt.
MZEE.com: Du hattest zuletzt 20-jähriges Bühnenjubiläum. Was sind für dich die drei Meilensteine deiner gesamten Karriere?
Samy Deluxe: Also, wenn es um Auftritte geht, war auf jeden Fall das Jubiläum einer der schönsten Tage meiner Karriere. Da hab' ich einfach so viele Leute zusammenbekommen, so viele hochkarätige Künstler, die das nur für eine Bahnkarte und ein Hotel gemacht haben. So etwas kann man nicht mit Geld bezahlen. Eine meiner liebsten Bühnenerinnerungen sind auch meine ersten 100 Splash!-Bars. Das war ein sehr, sehr geiler HipHop-Moment, weil ich das vorher noch nie gemacht hatte und das schon auch nicht so leicht ist. Dann noch die Dynamite Deluxe-Releaseparty zum ersten Album damals in der großen Freiheit … Da haben wir die Massiven Töne, Max Herre, Afrob, die Stiebers und so weiter mit dem Nightliner aus dem Süden in den Norden hochgekarrt und dann ein legendäres Konzert gespielt, das, denke ich, auch für immer in Hamburgs HipHop-History eingemeißelt ist. Ansonsten gibt's natürlich viele geile Momente, die ich vielleicht immer gar nicht so sehr mitbekomme. Ich hab' auch das Gefühl, dass viele Nostalgiker Menschen sind, bei denen eben nur damals geile Sachen passierten. Ich könnte dir auch Sachen erzählen, die heute geschehen.
MZEE.com: Kannst du dich noch an einen großen Moment erinnern, der dich in deiner Karriere richtig nach vorne gebracht hat?
Samy Deluxe: Der MTV-Award, den ich nach "Weck mich auf" bekommen hab'. Den hab' ich gegen die Ärzte, die Toten Hosen, Rammstein und die No Angels gewonnen. Einfach, weil die Leute wegen dieses Songs unbedingt wollten, dass ich gewinne. Das war karrieretechnisch schon ein krasser Moment. Als ich angefangen habe zu rappen, hab' ich mir ja nichts aus irgendwelchen Awards gemacht. Aber meine Gegner waren da einfach Acts, die viel, viel mehr verkauft haben und viel größer waren. Und trotzdem hatte ich einen Song, der das möglich gemacht hat.
MZEE.com: Ist "Weck mich auf" für dich auch immer noch der wichtigste Song in deiner Wahrnehmung oder gibt es da einen anderen?
Samy Deluxe: "Weck mich auf" ist auf jeden Fall der gemeinsame Nenner für alle. "Poesie Album" ist, glaube ich, der meist gestreamte Song von mir. Aber der hatte natürlich nicht so einen Impact wie "Weck mich auf".
MZEE.com: Und was ist der unterschätzteste Track, den du je rausgebracht hast – also einer, der in deinen Augen zu wenig Beachtung bekommen hat?
Samy Deluxe: So einen Track gibt es für mich gar nicht. Wenn man so tief in seinen Projekten drinsteckt, kann man natürlich auch nicht mehr objektiv sein und Songs bewerten. Im Nachhinein versteh' ich es echt immer, wenn Songs nicht so gut ankommen. Also, ich denke mal, wir reden von Singles. Von den Singles, die ich jeweils ausgewählt habe, versteh' ich genau, was warum funktioniert hat … oder eben auch nicht. Bei meinen Alben sieht das genauso aus.
MZEE.com: Ich würde gerne mit dir über ein politisches Thema der jüngeren Vergangenheit sprechen: Böhmermann und Erdogan. Magst du mir kurz deine Meinung zu dem Ganzen erzählen?
Samy Deluxe: Ich hab' da gar keine Meinung zu. Ich weiß nicht, was Böhmermann genau gesagt hat und wer dieser Mensch ist, über den er da geredet hat. Ich bin komplett unqualifiziert, um über weltpolitische Themen zu sprechen. Ich weiß einfach nicht genug darüber und es interessiert mich auch nicht.
MZEE.com: Du hast dich also überhaupt nicht mit dem Thema beschäftigt?
Samy Deluxe: Hallo, der ist Comedian, der Typ! Er darf sagen, was er will.
MZEE.com: Du hast also doch eine Meinung.
Samy Deluxe: Na ja, wenn er für irgendetwas Kritik erntet, dann ist es nicht meine Aufgabe, das zu bewerten. Kunst darf sich alles erlauben, solange sie gut gemacht ist. Ich hab' das Video eben nicht gesehen.
MZEE.com: Darum ging es ja in großen Teilen der Diskussion – obwohl Kunst sich "alles erlauben kann", stellte Erdogan Strafantrag gegen Böhmermann wegen Beleidigung. Böhmermann sagte ja sogar selbst, dass das, was er vorträgt, illegal sei. Das dann wirklich gegen ihn ermittelt wurde, scheinst du aber schon nicht so cool zu finden.
Samy Deluxe: Er kann ja sagen, was er will. Jeder kann sagen, was er will. Dann muss man aber auch mit den Konsequenzen leben, die das auslöst. Ich kann mich ja nicht konkret dazu äußern, wenn ich nicht weiß, was er gesagt hat. Ich weiß nicht mal genau, wer dieser Erdogan ist. Ich bin da echt komplett ungebildet. Ich klinge immer nur schlau, aber ich bin nicht gebildet und kenne irgendwelche Politiker. Barack Obama und Angela Merkel, da hört's auf.
MZEE.com: Du gehst mit den Singles "Mimimi" und "Klopapier" von deinem neuen Album auf aktuelle politische Themen ein – vor allem Rassismus und Fremdenhass. Das hast du so auch schon in der Vergangenheit gemacht – denkst du, im Moment ist das wichtig wie nie? Wie sehr hat sich die Lage aus deiner Sicht geändert?
Samy Deluxe: Die beiden Songs sind ja nicht gestern entstanden. "Klopapier" ist von 2014, "Mimimi" von 2015. Bei der Songauswahl und gerade bei der Auswahl der Singles hab' ich natürlich bewusst die Songs genommen, die für mich die gewagtesten und polarisierendsten Statements beinhalten. Ich fand', dass die Dinger jetzt eine Dringlichkeit hatten. Sie sind zwar schon entstanden, bevor die Flüchtlingsthematik so riesig in den Medien vertreten war, aber ich fand schon, dass die Situation es erfordert. Es waren aber auch musikalisch die beiden Banger, die vor dem Album rauskommen sollten.
MZEE.com: Findest du, es ist im Moment die Pflicht eines Künstlers, sich zu positionieren?
Samy Deluxe: Nee, nee. Musik hat nie die Pflicht, etwas anderes zu tun, als den Musikern Spaß zu machen. Wenn zehn Jahre lang inhaltslose Musik rauskommt, wird das auch eine Berechtigung haben. Vielleicht bewegt dann die eine starke Nummer, die nach zehn Jahren kommt, noch mehr Menschen.
MZEE.com: Hältst du es denn für begrüßenswert, wenn sich mehr Menschen positionieren?
Samy Deluxe: Ich freu' mich auf jeden Fall über Rapper, die hin und wieder ihre Zeilen für etwas anderes als pure Selbstverherrlichung und Wortspiele nutzen. Wortspiele kann man ja auch in jedem Themenbereich anwenden. Ich freu' mich da sehr über Rapper wie Megaloh, MoTrip und Chefket, die gute Hobbyphilosophen sind. Die schreiben einfach geile Zeilen, in denen sie Dinge verpacken, die sie in ihrem Leben aufspüren. Es ist wichtig, dass es solche Rapper gibt und nicht nur die ganzen anderen Spaten.
MZEE.com: Hast du überhaupt das Gefühl, dass sich die Lage in Deutschland stark verändert hat? Oder hast du Angst davor, dass es passieren könnte?
Samy Deluxe: Nee. Ich halte mich, wie gesagt, zu sehr aus dem Prozess heraus. Ich les' die "BILD" nicht und lasse mir auch nicht von irgendwelchen Statistiken Angst machen. Solange ich über die Straße gehen kann, ohne dass mich irgendwelche Menschen beschimpfen oder attackieren, mache ich mir auch keine Sorgen. Also um mich persönlich …
MZEE.com: Na ja, mir persönlich macht jetzt auch nicht die "BILD" Angst. Aber mich beunruhigen zum Beispiel die Wahlerfolge der AfD. Wie ist das bei dir?
Samy Deluxe: Vielleicht bin ich zu realistisch, um mich von so etwas schocken zu lassen. Es ist ja ganz klar, dass es in jedem Land immer rechtes und nationalistisches Potenzial gibt. Und sobald sich Menschen in dem Land von irgendetwas bedroht fühlen und diese Angst von irgendwelchen Parolenschwingern geschürt wird, dann passiert so etwas. Das ist schon immer so gewesen. Auch in den 90er Jahren haben schon Asylbewerberheime gebrannt. Und wenn das Thema dann in den Medien auftaucht, ist es wieder soweit. Dann gibt es wieder Rassismus. Dann haben alle Angst. Wenn du als dunkelhäutiger Mensch in Deutschland lebst, lernst du zwar irgendwann damit umzugehen, aber hast trotzdem nie einen Tag, an dem dir nicht bewusst ist, dass es in diesem Land sehr viele Rassisten gibt. Wenn du ein weißer Deutscher bist, der in seinem Umfeld nicht unglaublich viele Schwarze und Türken hat, vergisst du das schnell. Dann gibt es Rassismus erst, wenn es in der Zeitung steht. Du spürst Rassismus selbst, wenn du nach Afrika in den Urlaub fährst und der einzige Weiße bist. Aber das kannst du auch nicht mit der Situation vergleichen, als "Mimimi" hier zu leben.
MZEE.com: Du sprichst es gerade schon an. Auf "Mimimi" rappst du: "Integration ist nur eine Illusion". Meinst du das damit?
Samy Deluxe: Die Zeile ist auf jeden Fall ein doppeldeutiges Statement. Auf irgendeine Weise ist Integration keine Illusion. Sie hat ja durchaus geklappt. Ich bin hier geboren und hab' mich lange damit befasst, was und wer ich eigentlich bin, ob ich ein Teil von dem Ding hier bin und ob ich von diesem Land angenommen werde. Und dann blicke ich auf eine 20-jährige Musikkarriere zurück und weiß, dass ich dieses Land sogar mit meinem Wortschatz und meinem Musik- und Sprachverständnis mit geprägt hab'. Auf der anderen Seite … Ich hab' ein Selbstverständnis dafür, dass ich deutsch bin, ja. Aber ich spüre bei 99 Prozent der Leute da draußen, dass sie kein solches Selbstverständnis haben. Deshalb ist Integration eine Illusion, denn Integration funktioniert nur, wenn sie von beiden Seiten ausgeht. Es funktioniert nicht, wenn Ausländer herkommen und sagen, dass sie alle deutschen Gepflogenheiten annehmen, die deutsche Sprache vielleicht sogar besser sprechen als manche Deutsche und auch bessere Rapper werden und die anderen trotzdem sagen: "Du bist keiner von uns, denn du bist dies oder jenes".
MZEE.com: Denkst du dabei auch an die aktuelle Flüchtlingsthematik?
Samy Deluxe: Beim Schreiben hab' ich da nicht dran gedacht. Die Story handelt von mir und den Leuten, mit denen ich aufgewachsen bin – die, wie gesagt, ein krasses Selbstverständnis haben, deutsch zu sein, in Deutschland zu leben und trotzdem mit seltsamen Situationen konfrontiert werden.
MZEE.com: Denkst du, dass sich das in deinem Leben noch mal ändert? Oder glaubst du, dass diese "seltsamen Situationen" immer vorkommen werden?
Samy Deluxe: Es ist ja eine Entwicklungssache. Deutschland hat einfach eine ganz andere Geschichte als die USA, England, Frankreich und andere "Melting Pot-Länder". Seit dem zweiten Weltkrieg kommen so kleckerweise immer unterschiedliche Gruppen von Migranten. Da kamen erst die Gastarbeiter, dann gab es mehrere Flüchtlingswellen. Jetzt haben die ganzen Menschen, die hergekommen sind, natürlich Kinder gemacht. Da gibt es viele, die "deutsch" sind. Und andere, die seit 50 Jahren überhaupt nicht integriert sind und sich auch nicht integrieren wollen. Da wird auch keine große staatliche Kampagne irgendwas bringen, weil das Thema viel zu komplex ist. Dafür gibt es keine Lösung. Man muss einfach sehen, wie sich das entwickelt.
MZEE.com: Ich hab' dir noch ein Zitat aus dem Track "Klopapier" mitgebracht: "Ich seh' am 1. Mai in St. Pauli Autos auf Straßen brennen – und frag' mich: Warum macht ihr das nicht in Berlin vorm Parlament?" – was genau soll diese Line aussagen? Ich bezweifle jetzt mal, dass du wirklich willst, dass Menschen dort Autos abfackeln.
Samy Deluxe: Menschen fackeln ja Autos ab. Allerdings am falschen Ort. Genau das soll die Line aussagen. Die sollen das lieber vor dem Parlament in Berlin machen als im Karoviertel in Hamburg. Warum machen die das denn dort, wo die Menschen nicht reich sind? Wenn die sich gegen den Staat und den ominösen, bösen, anonymen Gegner, gegen "die", wehren wollen – dann sollen sie doch auch zu "denen" gehen. Natürlich will ich überhaupt nicht, dass irgendwer Autos anzündet. Ich hätte auch sagen können: "Warum macht ihr das überhaupt?" Ich weiß ja, aus welcher Motivation heraus so etwas entsteht. Teilweise ist es einfach Aktivismus und Zerstörungswut. Aber ich finde, wenn die schon diese Energie rauslassen wollen, dann sollen sie auch den bekämpfen, den sie bekämpfen wollen. Ich glaube, das ist ein großes Problem unserer Generation. Wenn mal Energie da ist und gekämpft wird, dann an den falschen Orten und gegen die falschen Personen. Es wird nie den großen Feinden geschadet, denen man schaden will.
MZEE.com: Kommen wir zu einem ganz anderen Thema: Du warst kürzlich in der Sendung "Sing meinen Song – Das Tauschkonzert" von VOX im Fernsehen zu sehen. Dort werden große Songs eines Künstlers von sechs anderen Künstlern neu interpretiert und vorgetragen. Wie kam es zu diesem Projekt, dessen Gastgeber Xavier Naidoo ist?
Samy Deluxe: Die haben im vergangenen Jahr angefragt, als wir gerade in Berlin das Fotoshooting für das Cover vom ASD-Album hatten. Da kam die Anfrage von Xaviers Management … Da hab' ich erstmal pauschal abgesagt. Ich kannte die Sendung auch nicht. Ein paar Wochen später hat Xavier mich dann angerufen, um mich zu überreden. Dann hab' ich mir die Sendung mal angeguckt und gemerkt, dass das für Deutschland eigentlich ein sehr gutes Format ist. Man kann als Musiker live performen und relativ ungecuttet und unzensiert reden. Man kann über seine Karriere und mit anderen Musikern einfach über Musik labern, was ich auch so in meinem Alltag mache. Dann hab' ich trotzdem noch mal abgesagt, weil ich auf die Besetzung der ersten beiden Staffeln keine Lust hatte. Das war doch zu krass für mich, irgendeinen Schlagersong zu singen. Danach hat sich herauskristallisiert, wer in der neuen Runde dabei sein wird. Nena hat dann irgendwann zu mir gesagt, dass sie nur mitmacht, wenn ich auch mitmache – wir haben ja zuletzt viel zusammen gemacht. Dann haben wir mit den Produzenten der Sendung einiges für uns ausgehandelt, was die künstlerische Freiheit und so weiter angeht. Als ich dann wusste, dass die Sendung eigentlich einfach eine Plattform für mich ist, auf der ich vor ein paar Millionen Leuten machen kann, was ich eh jeden Tag mache, war ich dann dabei. Vorher war ich von meinen Erfahrungen mit Privatfernsehsendern etwas traumatisiert, weil die Sendungen dort immer sehr diktiert sind. Bei "Sing meinen Song" passiert nur das, was die Künstler da miteinander machen.
MZEE.com: Was hat dich während der Aufzeichnungen besonders fasziniert?
Samy Deluxe: Es gab viele sehr geile Momente. Das hätte ich bei den Meilensteinen vorhin fast auch nennen können … Also, klar: Das war jetzt nicht der HipHop-Moment für mich. Aber an dem Punkt, an dem ich gerade in meinem Leben stehe, war es schon eine sehr bereichernde Erfahrung für mich. Jetzt konnte ich meine ganzen musikalischen Ausflüge und das ständige Bedürfnis, etwas Neues zu machen, mal anwenden.
MZEE.com: Zum Abschluss würde ich mich über einen Newcomer-Tipp von dir freuen. Du widmest dich mittlerweile ja auch vielen jungen Künstlern, vor allem mit deinem Label "KunstWerkStadt". Bengio und Appletree kamen zuletzt etwas ins Rampenlicht. Welchen Newcomer hast du noch in der Hinterhand?
Samy Deluxe: Genau, Bengio und Appletree sind erstmal die beiden KunstWerkStadt-Artists. Dazu gibt es noch einen Homie von mir, MC Sadri, der einfach ein guter Freund ist und eh mit uns abhängt. Der hat auch schon so Underground-mäßig ein paar Alben gemacht, aber bisher immer unabhängig von unserem Ding. Er hat jetzt mal ein paar Beats von mir gepickt und schließlich hab' ich sein ganzes Album produziert, das kommt noch in diesem Jahr. Eventuell kommt es auch über KunstWerkStadt heraus. Es ist mir musikalisch zu gut, um es irgendeinem Scheiß-Label zu geben. Außerdem haben wir noch eine KunstWerkStadt-Compilation geplant, weil wir noch so viele Kollabo-Songs mit mir und irgendwelchen Leuten rumliegen haben. Da ist viel krasser Kram dabei, der einfach herumliegt. Ansonsten haben Appletree und Bengio erst mal eine EP am Start – die arbeiten jetzt an ihren Alben.
(Alexander Hollenhorst)
(Fotos von Pascal Kerouche und Universal)