Wir alle lieben HipHop – uns gefällt so ziemlich alles, was mit der Kultur zusammenhängt. Und wenn wir etwas mal nicht feiern, können wir ihm oft zumindest positive Aspekte abgewinnen. Bei dem Blick auf die Szene durch diese "rosarote Brille" ist es oft unverständlich, warum es Menschen gibt, für die HipHop oder einige Bereiche davon schlichtweg ein rotes Tuch sind. Klar, über Geschmack lässt sich bekanntlich streiten – und Anlässe gibt es dafür tatsächlich zur Genüge. Anwohner von Veranstaltungsgeländen beschweren sich über Müll und Lärmbelästigung, während Festivalbesucher ausgelassen ihrer Leidenschaft nachgehen und die Musik feiern. Jugendliche rappen begeistert jede Zeile von Haftbefehls "Chabos wissen wer der Babo ist" mit, parallel dazu beklagen Sprachwissenschaftler und Beamte den Verfall der deutschen Sprache. Bahn- und Gebäudereiniger müssen Überstunden machen, um "Schmierereien", die von anderen als Kunstwerke betrachtet werden, zu entfernen. Wir möchten an dieser Stelle einen Brückenschlag wagen, indem wir die "andere Seite" zu Wort kommen lassen, um nachzuvollziehen, wie sich Vorurteile gegenüber HipHop bilden und weshalb Probleme entstehen.
"Bushido und Shindy stoßen Peter Maffay vom Chartthron" – und schon wieder ist es passiert: Deutschrap erobert die Charts und ist endlich fester Bestandteil der musikhörenden Masse geworden. Zumindest hat man dieses Gefühl, wenn man im letzten Jahr des Öfteren auf der Homepage der Offiziellen Deutschen Charts unterwegs war. Die beiden Berliner Rapper holten mit ihrem Album "Cla$$ic" die Pole Position der Album-Charts und waren auch mit ihren Singles "Cla$$ic" (Platz 62), "Brot brechen" (Platz 87) und "G$D" (Platz 93) in den deutschen Top 100 der Single-Charts vertreten. Aber nicht nur "Bushindy" feiern im Moment derartige Erfolge. Mittlerweile etablieren sich immer mehr Rapkünstler in den Charts, um mit Kollegah, Vega, Favorite und Farid Bang nur einige zu nennen, die letztes Jahr auf Platz 1 landeten.
All das analysiert, überprüft und bescheinigt uns die GfK Entertainment GmbH, die vom Bundesverband Musikindustrie e.V. damit beauftragt wurde, in Deutschland die begehrteste Tabelle der Musikindustrie zu ermitteln. In Zeiten von Datenklau und Filesharing sind die Charts zwar nicht mehr das aussagekräftigste Medium, wenn es um den Stellenwert der einzelnen Künstler bei den Käufern geht. Denn auch ein in den Charts "fast unbekannter" Rapper kann so manche Halle füllen, betrachtet man "Untergrund-MCs" wie die Sichtexot-Crew oder Edgar Wasser. Nichtsdestotrotz sind solche ermittelten Zahlen immer wieder der Bezug zu Status und Einfluss von Künstlern, die der Jagd nach Gold- oder Platin-Schallplatten mit Sicherheit nicht abgeneigt sind. Wer wäre nicht stolz auf einen Nummer-1-Hit oder den Verkauf von 100 000 Platten? Man hat nun mal nicht ewig Zeit, sich in der Geschichte der Musikindustrie einen Namen zu machen.
1977 beginnt Karlheinz Kögel mit dieser Geschichte durch die erste Ermittlung der Charts in Deutschland. Später gründet er die "media control GmbH" – dem ein oder anderen älteren Musikhörer wird dieses Unternehmen sogar mehr sagen als die GfK Entertainment GmbH, denn diese ging erst im Jahr 2014 aus der mittlerweile "media control GfK International" genannten GmbH hevor. Seitdem wacht die GfK Entertainment GmbH mit ihren 70 Mitarbeitern und dem Firmensitz in Baden-Baden mit Argusaugen über die heiligen Tabellen.
Und wer schon mal mit Tabellen zu tun hatte, der weiß: So spannend sind sie eigentlich gar nicht. Denn dass die GfK kein eingetragener Verein ist, der sich in den Dienst der Musik gestellt hat, sollte jedem bewusst sein, der die Charts einmal näher betrachtet und Chartplatzierungen mit den dazugehörigen Genres verglichen hat. Ebenfalls sollte man wissen, dass die GfK Entertainment GmbH nicht existiert, um Hörern Musik nahezulegen, die sie als schön und gut erachtet, oder um die deutsche und internationale Musikkultur zu fördern. Die GfK Entertainment GmbH ist schließlich ein Marktforschungsunternehmen. Und Marktforschung beschäftigt sich in der Musik nicht mit Boom bap, Trap oder Raop, nicht mit Kollegahs Latenight-Talk oder Bushidos Tourblog – sondern mit nackten Zahlen. Zahlen, die zusammengetragen, analysiert und ausgewertet werden. Ist das so unromantisch, wie es klingt? Ja. Hat das überhaupt etwas mit der Musik an sich zu tun? Nein.
Das Auswerten dieser Zahlen erfolgt nämlich jede Woche in einem sich stetig wiederholenden Prozess und bewertet schließlich den Musikgeschmack der deutschen, österreichischen und schweizerischen Hörer in Form einer Tabelle – auf Englisch: "Charts". Eine solche Chartwoche beginnt jeweils mit einem Freitag und endet mit dem darauffolgenden Donnerstag. In dieser Zeitspanne werden "die Verkaufs- beziehungsweise Nutzungsdaten von 2 800 Einzelhändlern sämtlicher Absatzwege einbezogen", so Dr. Mathias Giloth, Geschäftsführer der GfK Entertainment. Dazu gehören neben Einzelhändlern wie Saturn, Media Markt oder Müller auch bekannte Online-Versandhändler wie Otto oder Amazon, aber auch iTunes oder die sich mittlerweile immer mehr etablierenden Online-Streaming-Plattformen wie Spotify oder Deezer. Was aber vielleicht nicht jeder weiß: Entscheidend für eine Platzierung in den deutschen Charts ist hierbei nicht die Anzahl der verkauften Tonträger, heruntergeladenen Songs oder Streams, sondern der zusammengefasste finanzielle Umsatz der Produkte des Künstlers. Wenn nun also eine Limited Edition zum Preis von 50,00 Euro an den Mann gebracht wird, ist sie für die Wertung genauso bedeutend wie fünf "normale Alben" zum Preis von 10,00 Euro. Somit ist es natürlich für Künstler und ihre Chartplatzierungen bedeutsamer, teurere Boxen in hoher Zahl statt Tonträger oder Downloads zu verkaufen – allerdings muss beachtet werden, dass der Wert der Gimmicks einer solchen Box, wie etwa ein T-Shirt oder eine Cap, nicht den Wert des beinhalteten Tonträgers übersteigt. So wird ausgeschlossen, dass Künstler ihre Fanboxen nur noch mit Nebensächlichkeiten füllen, um damit den Wert der limitierten Pappschachtel zu steigern.
Die Händler schicken also wöchentlich ihre Daten an die GfK Entertainment GmbH, die sie anschließend auswertet und so den jeweils erfolgreichsten Künstler einer Chartwoche ermittelt. Die bekanntesten Kollegen der GfK sind das Magazin Billboard, das die US-amerikanischen Charts erhebt, und die Official Charts Company, die für die britischen Charts zuständig ist.
Die Unterschiede in den Chartplatzierungen entstehen somit alleine durch die Verkaufszahlen und entsprechen also auch den Geschmäckern der jeweiligen Nation. Wenn dann eine im Vergleich kleine, aber kaufbereite Hörerschaft ein Album supportet und es kauft, kann es gut und gerne auch mal vorkommen, dass ein KC Rebell aus dem Ruhrgebiet es mit "Fata Morgana" in allen drei deutschsprachigen Ländern (Deutschland, Österreich, Schweiz) auf Platz 1 schafft. Unter dem Blickwinkel, dass es hier wirklich nur um den Verkauf beziehungsweise die Distribution über den Handel und Online-Markt geht, ist das also weitaus beeindruckender, als man vielleicht meinen würde. Vor allem aber ist es ein nicht zu unterschätzendes Zeichen dafür, wie sehr sich Rap in den Charts etabliert hat.
Besonders seit den 2000ern und vor allem in den letzten Jahren gab es laut Giloth "einen regelrechten HipHop-Boom". Deutschrapper standen 2015 in 17 Wochen auf Platz 1 der Offiziellen Deutschen Charts. "Das ist eine beeindruckende Leistung und ein Beleg für die wachsende Beliebtheit dieses Genres", findet der GfK Entertainment-Chef. Diesen Worten ließ er bereits Taten folgen, denn 2015 wurden erstmals auch die Deutschen HipHop-Charts von der GfK in Deutschland eingeführt. In einer Top 20-Liste erfahren nun wissbegierige HipHop-Heads und Platzierungsfanatiker, wo ihre Lieblingsrapper im Ranking stehen.
Wenn man nun dazu beachtet, dass manch erfolgreiches Rapalbum von der BPjM (Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Medien) auf den Index gesetzt wird, wie zum Beispiel "Blockplatin" von Haftbefehl, ist es eigentlich verwunderlich, dass diese sich trotzdem so weit vorne in den Charts positionieren. Denn: Indizierte Titel und Alben werden für den Zeitraum ihrer "Verbannung" nicht für die Charts gewertet. Da kann man fast von Glück sprechen, dass die BPjM nicht gerade für ihre Geschwindigkeit bekannt ist. Die Indizierung von "Blockplatin" fand nämlich im Jahr 2015 statt. Das dritte Album des Offenbachers wurde allerdings schon zwei Jahre vorher veröffentlicht und chartete sofort auf Platz vier. Soviel also zu dem Gerücht, GfK und BPjM würden durch Indizierungen Chartplatzierungen und Verkäufe der Künstler beeinflussen. Einerseits arbeiten nämlich diese beiden Unternehmen völlig getrennt voneinander und andererseits liegt die Auswertung der Charts und die Bearbeitung der Indizierung zeitlich viel zu weit auseinander, als dass sie gegenseitig Einfluss aufeinander nehmen könnten.
Ein weiterer, sehr verbreiteter Irrtum: Das Gerücht, dass Labels versuchen, die Chartplatzierungen ihrer Künstler durch Aufkaufen ihrer Alben hochzutreiben. Dazu Mathias Giloth: "Wir führen eine Vielzahl an Qualitätssicherungskontrollen durch und sehen Auffälligkeiten – solche Aktionen lohnen sich also nicht." Wie genau diese Qualitätssicherung aussieht, erfahren wir leider nicht. Zumindest ist es beruhigend zu wissen, dass es solche Kontrollen gibt, aber gleichzeitig auch erschreckend, wenn man bedenkt, wer da teilweise die Charts anführt. Da wünscht man sich doch manchmal ein Kartell, welches die Platzierungen manipuliert, damit man den Glauben an den "atemlosen" Musikgeschmack der Deutschen nicht verliert.
Wenn also Bushido und Shindy das nächste Mal Peter Maffay von irgendwo herunterstoßen – was leider oder zum Glück nur symbolisch in den Charts stattfindet –, so wissen wir jetzt zumindest, dass diese Platzierungen nicht viel mit der Musik an sich zu tun haben. Aber immerhin weißt du auch, dass es viele Leute gibt, die dein Lieblingsalbum genauso feiern wie du. Da stören dann auch die ganzen Videos nicht mehr, in denen Rapper das Album ihres "Brudis" kaufen und voller Stolz den Kassenbon in die Linse halten. Denn die Hauptsache an Rapmusik ist doch, dass wir am Ende die Zahlen und Tabellen der GfK und den Labels sowie das Geld den Künstlern überlassen, während wir Normalsterblichen gemeinsam den Kopf zum Beat bewegen und uns einfach nur über die Musik freuen können – ohne Zahlen, ohne Stress.
(Alexander Krause)
(Fotos: GfK Entertainment GmbH)