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Hört, hört!

November 2015: Fatoni & Dexter und Alligatoah

Was Ihr Euch in Sachen Deutschrap in die­sem Monat unbe­dingt ange­hört haben müsst? In unse­rer Rubrik "Hört, hört" stel­len wir die bei­den für uns rele­van­tes­ten Relea­ses aus zwei Wel­ten, Unter­grund und Main­stream, vor. Die­ses Mal: Fato­ni & Dex­ter und Alligatoah.

"Okay – was habe ich ver­passt?" Eine Fra­ge, der wohl jeder von uns schon ­mal begeg­net ist. Egal, ob man sie selbst gestellt hat oder mit ihr kon­fron­tiert wur­de. Manch­mal kommt ein­fach der Zeit­punkt, an dem man sich vor allem eines wünscht: "Bringt mich doch mal auf den neu­es­ten Stand!" Doch wie ant­wor­tet man dar­auf? Was hält man für beson­ders erwäh­nens­wert? Es ist schwer, eine kur­ze, aber voll­stän­dige Ant­wort dar­auf zu fin­den. Wie misst man über­haupt Rele­vanz? An media­lem Hype? Am Über­ra­schungs­fak­tor? Oder doch an dem musi­ka­li­schen Anspruch? In "Hört, hört!" geht es um das alles, redu­ziert auf zwei Ver­öf­fent­li­chun­gen. Ein Release, das vor allem im Unter­grund auf Zuspruch gesto­ßen ist, und eines, das in der brei­ten Öffent­lich­keit wahr­ge­nom­men wur­de. Zwei Wer­ke, die wir nicht unbe­dingt gut fin­den müs­sen, aber eine gewis­se Rele­vanz oder eine Bedeu­tung jeg­li­cher Art für die hie­sige Rapland­schaft besit­zen. Zwei Wer­ke, die am Ende des Monats vor allem eines aus­sa­gen: "Hört, hört! Genau das habt ihr verpasst!"

 

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Fato­ni & Dex­ter – Yo, Picasso

Es ist immer schön, wenn sich zwei Men­schen fin­den, die wirk­lich zusam­men pas­sen. Das gilt nicht nur für zwi­schen­mensch­li­che Bezie­hun­gen – auch in der Musik ist es eine Freu­de zu sehen, wenn ein Paar mit­ein­an­der har­mo­niert. Jüngs­tes Para­de­bei­spiel hier­für sind Fato­ni & Dex­ter, die mit "Yo, Picas­so" ein – zumin­dest für mich – über­ra­schen­des Album ablieferten.

Natür­lich kennt man Fato­ni schon auf­grund eini­ger EPs und auch Dex­ter ist nicht erst seit sei­nen Gold- und Pla­tin­pro­duk­tio­nen für Cro in der Sze­ne bekannt wie ein bun­ter Hund. Den­noch brauch­te es ihre Sym­bio­se auf die­ser Plat­te, um mir bei­de erst rich­tig näher­zu­brin­gen. Denn auf den über jeden Zwei­fel erha­be­nen Beats des Stutt­gar­ters gehen die aber­wit­zi­gen Tex­te Fato­nis erst rich­tig auf. Jeder von Dex­ters Pro­duk­tio­nen hört man die Lie­be zum Detail an. Aus reich­lich Samples zwi­schen Jazz und Soul baut der Pro­du­cer ein über­aus orga­ni­sches und leben­di­ges Klang­bild. Auf die­sem Kopf­ni­cker för­dern­den Gerüst bringt Fato­ni opti­mal sei­nen indi­vi­du­el­len Rap­style unter, der neben eigen­wil­li­gen Flow­va­ria­tio­nen auch reich­lich über­trie­be­ne Adlibs für den Hörer bereit­hält. Doch sei­ne über­schwäng­li­che Art zu rap­pen scheint sich trotz­dem nie auf­zu­drän­gen oder pein­lich zu wer­den. Viel­mehr passt jede noch so ver­rück­te Wen­dung in den Raps zu sei­nen (selbst-)ironischen Lyrics. Fato­ni hält in sei­nen Tex­ten nicht nur der Gesell­schaft den Spie­gel vor – er erkennt auch sich selbst dar­in. Dann zer­schmet­tert er besag­ten Spie­gel, bis nur noch ein Zerr­bild übrig bleibt, wel­ches aber der Wahr­heit näher scheint, als man sich ein­ge­ste­hen will. Genau hier liegt die Kunst von "Yo, Picasso".

Beats und Sprech­ge­sang sind somit in ihrer Aus- und Zusam­men­füh­rung ziem­lich ein­zig­ar­tig, wes­halb "Yo, Picas­so" wirk­lich von jedem Rapfan eine Chan­ce ver­dient. Man mag sich ange­sichts die­ses Arti­kels strei­ten, ob Dex­ter & Fato­ni wirk­lich noch Unter­grund sind. Atti­tü­de und Her­an­ge­hens­wei­se des Duos spre­chen jeden­falls dafür. Für all die­je­ni­gen, die der Plat­te noch aus­wei­chen, sage ich es des­halb zum Schluss ganz unver­blümt: Hört Euch "Yo, Picas­so" an!

(Flo­ri­an Peking)

 

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Alli­ga­to­ah – Musik ist kei­ne Lösung

Eines der Pro­ble­me von Dro­gen ist ja, dass man nur schwer wie­der von ihnen los­kommt. Und so geschieht es, dass auch zwei Jah­re, nach­dem halb Deutsch­land mit Alli­ga­to­ah den Bach run­ter­ging, vie­le noch nicht genug vom Trailerpark-​Szenestar haben. Zeit für kal­ten Ent­zug, denn "Musik ist kei­ne Lösung". 

Was für wun­der­ba­re Ansät­ze Musik aber bie­ten kann, um Pro­ble­me auf­zu­zei­gen, beweist Alli­ga­to­ah uns selbst ein ums ande­re Mal. Von der meist unzu­läng­lich infor­mier­ten Sys­tem­kri­tik ("Wie bit­te") bis hin zum ste­ten Behar­ren auf den Rechts­staat ("Vor Gericht") wer­den eigent­lich alle typisch deut­schen Gepflo­gen­hei­ten durch den Kakao gezo­gen – stets iro­nisch, aber tref­fend ver­packt. Dabei schafft "Musik ist kei­ne Lösung" eine schier ein­zig­ar­ti­ge Grat­wan­de­rung: Die Kom­bi­na­ti­on aus Ohr­wurm­hooks straight out­ta Schre­ber­gar­ten, die zum Mitgröh­len nur so ein­la­den, und cle­ver gerapp­ten Sze­na­ri­en, die mit ein­zig­ar­ti­ger Krea­ti­vi­tät prä­sen­tiert wer­den. Lan­ge­wei­le kommt so zu kei­ner Zeit auf, man wird eher von einem musi­ka­li­sche Extrem ins nächs­te getrie­ben. Dass Alli­ga­to­ah dabei mehr denn je mit Pop anban­delt, stört nur sel­ten, weil alles extrem har­mo­nisch und schlicht­weg aus­ge­wo­gen klingt. Neue Facet­ten des Künst­lers lernt man dann ken­nen, wenn der Rap­per auf dem Titel­track wirk­lich ehr­li­che, offe­ne Sei­ten auf­zieht und in sei­ner schlich­ten Art auch mal kom­plett ohne Iro­nie, Flach­se­rei und Wort­spie­le­rei auskommt.

"Musik ist kei­ne Lösung" steht damit nicht für ein nor­ma­les Album. Es sind 15 authen­tisch gerapp­te Hits, die zu kei­nem Zeit­punkt ner­vig oder öde klin­gen. Und damit hat Alli­ga­to­ah nicht weni­ger als das "Come­back des Jah­res" geschaffen.

(Sven Aum­il­ler)