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Interview

Sierra Kidd

"Die Eins ist das kleins­te Ziel über­haupt." – Sier­ra Kidd im Inter­view über sei­ne Zie­le, Pla­tin zu gehen und Ehren­bür­ger zu wer­den, sowie über nichts­sa­gen­de Chart­er­geb­nis­se und sei­nen momen­ta­nen Lifestyle.

Zwei ver­öf­fent­lich­te Alben, diver­se EPs und Tapes, eige­ne Musik- und Kla­mot­ten­la­bels, Props von den ganz Gro­ßen der Sze­ne und ein Solo-​Auftritt bei Ste­fan Raabs "Bun­des­vi­si­on Song Con­test" – für sei­ne 19 Jah­re kann Sier­ra Kidd bereits auf eine ansehn­li­che Lis­te von klei­nen und gro­ßen Kar­rie­re­er­fol­gen zurück­bli­cken. All sei­ne Zie­le hat er aller­dings noch lan­ge nicht erreicht. Und von denen ist die Chart­spit­ze noch das kleins­te. Mit "FSOD" publi­zier­te das TeamFuckSleep-​Oberhaupt kürz­lich sei­ne neu­es­te Plat­te – und das ganz ohne Pro­mo und, pas­send zu sei­ner Schlaf­lo­sig­keit, mit­ten in der Nacht. War­um? Weil er schon immer nach Gefühl gehan­delt hat. Und genau die­se Art, Ent­schei­dun­gen zu tref­fen, ist mit Schuld dar­an, dass der Rap­per heu­te dort steht, wo er nun ein­mal steht. Wir baten den gebür­ti­gen Emde­ner zum Inter­view und unter­hiel­ten uns mit ihm ein wenig über die Deutschrap­sze­ne, sei­nen Platz dar­in, viel zu ver­klemm­tes Geschie­le auf Chart­po­si­tio­nen und sei­ne sound­tech­ni­sche Weiterentwicklung.

MZEE​.com: Lass uns das Inter­view mit einem The­ma eröff­nen, das sowohl in dei­nen Tex­ten als auch im Namen dei­nes Labels eine rela­tiv nega­ti­ve Bedeu­tung hat: Schlaf. Man sagt im ame­ri­ka­ni­schen Sprach­ge­brauch, der Schlaf sei der "Cou­sin des Todes" – siehst du das ähnlich?

Sier­ra Kidd: Ich mag Schlaf, so ist es nicht – ich träu­me zum Bei­spiel rich­tig gern. Aber ich schla­fe recht wenig, weil ich die gan­ze Zeit auf dem Grind sein und arbei­ten will. Des­we­gen kann ich nicht stän­dig pen­nen. "Team­FuckS­leep" rich­tet sich eher gegen Leu­te, die den gan­zen Tag im Bett lie­gen, pen­nen und nichts tun. Frei nach dem Mot­to: "Wir sind wach und arbei­ten, wäh­rend ihr schlaft".

MZEE​.com: Wür­dest du dich selbst als Arbeits­tier bezeichnen?

Sier­ra Kidd: Man kann sich natür­lich immer ver­bes­sern – für mich selbst arbei­te ich noch viel zu wenig, aber für mei­ne Mom schon viel zu viel. Es kommt immer drauf an, wer das betrachtet.

MZEE​.com: Hast du neben der Musik zur­zeit eigent­lich noch einen Job?

Sier­ra Kidd: Nein. Ich hab' natür­lich Prak­ti­ka gemacht und hier und da mal ein paar Sachen absol­viert, aber auch nie eine Aus­bil­dung ange­fan­gen. Ich hab' mei­ne Schu­le damals mit dem Real­schul­ab­schluss been­det und von da an von Rap gelebt. Jetzt hab' ich neben­bei noch meh­re­re Fir­men, vor allem im Han­del – man erwei­tert mit der Zeit halt sein Busi­ness. Ich ver­dien' mein Geld also nicht nur mit der Musik. Wir haben auch eines der erfolg­reichs­ten Merchandise-​Labels in Deutsch­land. Das alles darf sich nur nie so schnei­den, dass es eklig wird – zum Bei­spiel als "Team­FuckS­leep" Schlaf­sa­chen raus­brin­gen. (lacht) Aber durch die­se Kla­mot­ten­sa­che konn­ten wir unser Image eher noch bestär­ken, als dass wir dem Gan­zen schaden.

MZEE​.com: Pas­send zum The­ma "Team­FuckS­leep" ist dein neu­es Album "FSOD" über Nacht erschie­nen, qua­si kom­plett ohne Pro­mo­pha­se. Genau das sieht man in letz­ter Zeit immer häu­fi­ger – was war dei­ne per­sön­li­che Moti­va­ti­on dazu und war­um denkst du, dass ande­re Künst­ler das eben­so machen? Weekend hat vor eini­gen Wochen ja auch ein­fach so ein Album veröffentlicht.

Sier­ra Kidd: Bis jetzt hat man das – soweit ich weiß – nur in Ami­land gese­hen. Natür­lich gucken wir immer rüber, was die Staa­ten machen, aber wir wuss­ten das tat­säch­lich schon, bevor die­ser Drake-​Move kam. Da saßen Hadi und ich bereits da und haben über­legt, das nächs­te Album ein­fach ohne Pro­mo raus­zu­brin­gen. Wir han­deln immer nach Gefühl und uns hat die­se Pro­mo­pha­se ein­fach genervt. Wir haben ana­ly­siert, was ande­re Leu­te machen, und fest­ge­stellt: Okay, die­se gan­zen Blogs et cete­ra ner­ven uns extrem krass, da haben wir kei­nen Bock drauf. War­um ande­re das auch gemacht haben … (über­legt) Kei­ne Ahnung. Viel­leicht haben sie sich gedacht: "Okay, Dra­ke hat das so gemacht, jetzt müs­sen wir das auch so machen". Aber ganz ehr­lich: Bis jetzt hat­te in Deutsch­land nie­mand die Eier, das so durch­zu­zie­hen wie wir. Nichts gegen Weekend, er ist ein coo­ler Typ – aber er hat­te zum Bei­spiel auch vor­her schon sein Cover, die Track­list, es gab 'ne Video­aus­kopp­lung, du wuss­test, wer auf dem Album sein wird und dann kam's eben über­ra­schend. Bei uns konn­test du das nicht mal erah­nen. Hät­test du die Fans gefragt, hät­ten die alle gesagt: "Nächs­tes Jahr kommt das Sier­ra Kidd-​Album". Wir saßen wirk­lich da, haben kei­nen Fick gege­ben und "FSOD" raus­ge­bracht, weil wir wuss­ten, dass jetzt der Zeit­punkt dafür ist. So waren wir schon immer. Das klingt jetzt behin­dert, weil uns das kei­ner gut­schreibt, aber wir waren schon immer Pio­nie­re in dem, was wir tun. Ich hab' ein­mal vier Free Tracks an einem Tag raus­ge­bracht – dar­über redet auch kein Mensch mehr.

MZEE​.com: Denkst du, dass das ein neu­er Trend wer­den könn­te, der sich durchsetzt?

Sier­ra Kidd: Ich weiß nicht … Ich hab' letz­tens noch drü­ber nach­ge­dacht. Ich glau­be, dass da noch ein, zwei kom­men wer­den, aber ob sich das wirk­lich durch­set­zen kann, ist halt die Fra­ge. Ich glau­be, dass es die nor­ma­le Pro­mo­pha­se immer noch geben wird, aber das jetzt eine neue Art ist, Sachen raus­zu­brin­gen. Eine neue Mög­lich­keit, die für eini­ge Künst­ler eine Opti­on sein wird, aber für ande­re nicht.

MZEE​.com: Spre­chen wir mal kon­kre­ter über das Release. Die Plat­te klingt in ihrer Pro­duk­ti­on sehr aus­ge­reift, egal, ob auf die Instru­men­tals oder die Nach­be­ar­bei­tung bezo­gen. Wie inten­siv warst du in die­se Schaf­fens­pro­zes­se involviert?

Sier­ra Kidd: Eigent­lich müss­te man das "FSOD"-Album fast als ein Sier­ra Kidd und Young Kira-​Album anse­hen. Ich hab' natür­lich die gan­zen Tex­te und Ideen gelie­fert – also, die Grund­wer­ke, sag' ich mal – und war bei eini­gen Songs auch dabei. Zum Bei­spiel bei "Alles". Bei ande­ren Songs wie "FSOD" hab' ich nur die Grund­sa­chen gelie­fert und "Fan von dir" ist auch genau so geblie­ben, wie es vor­her war. Aber die­sen "Ernst"-Song hab' ich Kira zum Bei­spiel in die Hand gedrückt und gesagt: "Ich fei­er' den nicht so krass, aber ich weiß, dass du einen Hit draus machen wirst, also tob dich aus". Er hat den dann genom­men, kom­plett zer­pflückt, mir am nächs­ten Tag zurück­ge­schickt und es war ein Brett. Ich lass' ihm da auf jeden Fall vie­le Frei­hei­ten und den­ke, wir sind ein ein­ge­spiel­tes Team. Ich hab' nicht vor, noch­mal was zu releasen, ohne dass das durch sei­ne Feder geht, weil er ein­fach gezeigt hat, dass er ein rich­tig guter Pro­du­zent ist.

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MZEE​.com: Gab es, rein auf die Sound­äs­the­tik von "FSOD" bezo­gen, beson­de­re Inspirationsquellen?

Sier­ra Kidd: Ich woll­te nicht, dass das Album wie etwas klingt, das du erwar­test. Dass du es dir anhörst und dann denkst: "Ja, okay, hab' ich gewusst, dass das so klin­gen wird". Und das Ein­zi­ge, an dem du es ein biss­chen erah­nen konn­test, war das Money Boy-​Feature, das schon ein biss­chen anders klang. Ich woll­te ein­fach etwas machen, was es so nicht in Deutsch­land gibt … und dann kamen Dat Adam mir lei­der zuvor. (lacht) Die haben Clou­drap auf jeden Fall eta­bliert. Das war für mich natür­lich nicht so cool, aber das Tape ist trotz­dem fire. Ich hab' mich mehr inter­na­tio­nal ori­en­tiert, zum Bei­spiel an Bones oder Night Lovell – die Unter­grund­sze­ne sozu­sa­gen. Die­se gan­zen Geheim­tipps, von denen man gera­de hört. Die Musik klingt halt so und ich fei­er' das. Ich reflek­tie­re immer das, was ich höre. Und das Tape spie­gelt das auch gut wie­der … Viel­leicht eher die ers­te Hälf­te als die zwei­te, weil die zwei­te aus älte­ren Songs besteht.

MZEE​.com: Vor dem Release von "FSOD" hat­test du den Track "Colt" ver­öf­fent­licht, der vom Rest des Albums deut­lich her­aus­sticht. Ich hät­te auch eher gedacht, dass die Plat­te in die­se Rich­tung gehen würde …

Sier­ra Kidd: Stimmt. Das war genau, was ich woll­te – dass man es nicht erwar­tet. Wir haben auch mal rum­ge­fragt, wel­cher denn der Lieb­lings­song der ande­ren ist … Und jeder hat was ande­res geschrie­ben. Nor­ma­ler­wei­se gibt's immer die drei Hits und dann noch ein paar ein­zel­ne Tracks. Aber da hat wirk­lich jeder etwas ande­res geschrie­ben und Kira mein­te nur zu mir: "Okay, wir haben auf der Plat­te wirk­lich alle Spar­ten ver­eint, die wir bedie­nen wol­len". Jeder fin­det sei­nen Song und jeder, dem ich das vor­spie­le, hat min­des­tens ein, zwei Lieb­lings­tracks auf dem Tape.

MZEE​.com: Auf dem titel­ge­ben­den Track rappst du in der Hook: "Ich bin in mei­ner Zone, den­ke nach – schla­fe nie, doch wann bin ich wach?" Was hat es mit die­ser "Zone" auf sich?

Sier­ra Kidd: Ich wohn' momen­tan in einem Haus, in dem immer acht, neun Leu­te sind, die halt ihr Ding machen. Die tät­to­wie­ren sich, sit­zen an der Play­Sta­ti­on und haben die gan­ze Zeit die­sen gene­rel­len "Turn up". Es ist immer jemand da und es wird sozu­sa­gen die gan­ze Zeit gefei­ert – also, nicht wirk­lich Par­ty, wie man sich das vor­stellt, aber es ist immer was los. Und irgend­wann kommt jedes Mal die­ser Moment, in dem alle lang­sam gehen … und dann bin nur noch ich allein in die­sem rie­si­gen Haus. Das ist dann der Beginn die­ser "Zone". Wenn alle ande­ren pen­nen gehen, sitz' ich noch auf der Couch, guck' mir Seri­en an und den­ke nach: "Boah, wann bin ich end­lich wach, wann wach' ich auf aus die­sem Traum?" Ich lie­be die­sen Life­style, den wir haben, aber ewig kann das nicht so wei­ter­ge­hen. Ich bin so dank­bar, dass ich das alles erle­ben darf, aber ewig macht mein Kör­per das auch gar nicht mit. (lacht) Finn, ein Freund von mir, hat da mal was Lus­ti­ges gesagt. Er war irgend­wann bei mir und mein­te: "Manu­el, jedes Mal, wenn ich von der obe­ren Eta­ge dei­nes Hau­ses ins Wohn­zim­mer run­ter­komm' und ihr alle pennt, zünd' ich mir einen Joint an und sag' mir: 'Boah, das kann doch nicht so wei­ter­ge­hen, aber es geht immer so wei­ter'". (lacht) Und so ist das. Ich weiß nicht war­um, aber es ist halt ein­fach so.

MZEE​.com: Wenn man sich dei­ne deepe­ren Songs wie "Kopf­vil­la" anhört, wür­de man das gar nicht von dir denken …

Sier­ra Kidd: Du musst das so sehen: Bis ich 17, 18 war, war ich immer allei­ne. Ich hat­te immer Bekann­te und Leu­te, mit denen ich geg­rin­det habe, aber eigent­lich war ich immer ein Ein­zel­gän­ger. Und jetzt fängt es lang­sam an, dass ich der Boss von etwas bin: Ich hab' mein eige­nes Label gegrün­det, Leu­te, die bei mir ange­stellt sind, Fir­men und Ver­ant­wor­tung, die ich tra­gen muss … (über­legt) Für mei­ne klei­nen Geschwis­ter bin ich der Größ­te. Und das sind alles ein­fach Sachen, die ich vor­her nie gefühlt hab' und jetzt emp­fin­de ich das. Ich hab' viel nach­zu­ho­len. Aber mitt­ler­wei­le hab' ich auch ein­fach kei­ne Zeit mehr und des­we­gen mach' ich so viel auf ein­mal. Des­we­gen mach' ich jetzt ein Album, bring' direkt danach 'nen Track raus, schneid' wäh­rend­des­sen noch das zwei­te Video zum Album und bin trotz­dem noch die gan­ze Zeit die­sen "Turn up am Haben". Du darfst dir das auch nicht wie eine Par­ty vor­stel­len. Wir tan­zen nicht die gan­ze Zeit. Das ist gar nicht mal die­ses Drogen-​Ding und Fei­ern, son­dern ein­fach nur Chil­len und Rum­hän­gen. Mein Haus ist sozu­sa­gen die "Hangout-​Zone". Ich hab' da auch ein abge­trenn­tes Stu­dio, in dem ich manch­mal chil­le, wäh­rend die fei­ern. Ich bin kein Par­ty­mensch, aber lie­be es, in die­ser Gesell­schaft zu sein. Das inspi­riert mich einfach.

MZEE​.com: Du hast gera­de ange­spro­chen, was du alles machst. Fühlst du dich unter Druck gesetzt, jetzt auch lie­fern zu müs­sen, damit du die­sen Life­style auf­recht erhal­ten kannst?

Sier­ra Kidd: Was heißt "unter Druck gesetzt" … Das ist es ja, was ich woll­te. Ich will das alles selbst machen. Natür­lich könn­te ich eine Film­fir­ma für die Vide­os enga­gie­ren, mein Label weg­ge­ben und bei einem ande­ren signen und dann sozu­sa­gen sel­ber wie­der ein Ange­stell­ter sein – aber das ist nicht, was ich will. Ich will die­se Ver­ant­wor­tung und den Druck. Jeden Tag auf­ste­hen und mer­ken, wofür ich das tu'. Ich will jeden Tag dasit­zen und mer­ken: "Okay, ich hab' den gan­zen scheiß Tag lang gear­bei­tet, aber am Ende kommt dabei auch mehr rum als bei jedem ande­ren". Und dar­an glaub' ich auch. Es ist nicht so, dass ich jetzt hier sit­ze und sage: "Ich arbei­te so viel und viel­leicht wird das alles nichts" … Doch, es wird was. Es muss etwas wer­den. Und bis zu die­sem Punkt werd' ich nicht auf­hö­ren zu arbeiten.

MZEE​.com: Im End­ef­fekt rappst du jetzt seit rund vier Jah­ren, hast aber in kei­nem den wirk­lich glei­chen Stil gefah­ren. Dei­ne ers­ten Free Tracks klan­gen logi­scher­wei­se nicht wie "Kopf­vil­la" und "Kopf­vil­la" wie­der­um nicht wie "Nir­gend­wer" oder jetzt eben "FSOD". Denkst du, dass du momen­tan noch in der Fin­dungs­pha­se bist, oder wür­dest du sagen, dass du mit "FSOD" dei­nen Stil gefun­den hast?

Sier­ra Kidd: Was Sound angeht, bin ich, glau­be ich, mein gan­zes Leben lang in einer Fin­dungs­pha­se. Ich find' immer mal ande­re Sachen geil. Nur bei "Nir­gend­wer" war ich im Nach­hin­ein nicht mehr ganz zufrie­den mit dem Sound. Für die Umstän­de, unter denen es ent­stan­den ist, find' ich die Plat­te immer noch gut, aber bei "FSOD" kommt die­ser "Kopfvilla"-Flavour wie­der viel mehr rüber. Gera­de gegen Ende, bei Songs wie "Schein­hei­lig". Natür­lich klingt das trotz­dem anders, aber die­ser Vibe, die­ses Ver­träum­te ist wie­der zurück – das hat bei "Nir­gend­wer" ein­fach kom­plett gefehlt. Das war bei den Free-​Tracks und "Kopf­vil­la" da, bei "Nir­gend­wer" war's weg und jetzt ist es wie­der da … fin­de ich. Ich wür­de auf jeden Fall sagen, dass ich mich selbst gefun­den habe, aber sound­tech­nisch wer­de ich mich immer ver­än­dern. Ich weiß jetzt noch nicht, wie das nächs­te Album klin­gen wird, aber wet­te, dass es auch wie­der ein biss­chen anders wird. Das wird sich immer wei­ter­ent­wi­ckeln und bes­ser werden.

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MZEE​.com: Ist dir deut­scher Rap an sich expe­ri­men­tell genug oder wür­dest du dir wün­schen, dass man­che Künst­ler in ihrer Musik mal etwas muti­ger werden?

Sier­ra Kidd: Na ja … Deutsch­land ist halt so ekel­haft ver­krampft und wenn eine Sache funk­tio­niert, muss man sie aus dem finan­zi­el­len Aspekt her­aus lei­der durch­zie­hen. Weil du es dir nicht leis­ten kannst, wenn etwas nicht funk­tio­niert. Aber mir ist das egal. Ich will ein­fach gute Musik machen und fin­de, dass mehr Leu­te die­sen Aspekt haben soll­ten. Wenn ich jetzt ein Fler-​Interview höre, in dem er sagt: "Ich hab' Trap geliebt und es hat mir so viel Spaß gemacht, aber dann konn­te ich das nicht mehr machen, weil die Ver­kaufs­zah­len nicht gestimmt haben …" Was ist das denn?! Du soll­test doch Musik machen, weil es dir Spaß macht. Weil du da sitzt und sagst: "Boah, die­ser Song ist so geil, den hör' ich jetzt die gan­ze Zeit rauf und run­ter". Nur dann kannst du die­ses Gefühl auch an dei­ne Hörer ver­mit­teln. Ver­kaufs­zah­len und so ein Scheiß sind doch nicht das, wonach du gehen soll­test. Du soll­test danach gehen, dass du gute Musik machst – und gute Musik ist für uns kein Ziel, son­dern eine Voraussetzung.

MZEE​.com: Gibt es in der Deutschrap­sze­ne denn Künst­ler, die du dir pri­vat anhörst und von denen du viel­leicht sogar Fan bist?

Sier­ra Kidd: Lei­der sind das immer weni­ger gewor­den. Ich ver­lieb' mich auch immer mehr in Money Boy – no homo. Am Anfang war ich auch einer von den dum­men Hatern bezie­hungs­wei­se hab' ich's ein­fach nicht gecheckt. Aber irgend­wann hab' ich es immer mehr geget­tet und mitt­ler­wei­le bin ich voll drin im Film. (lacht) Money Boy ist auf jeden Fall fly. Ansons­ten hör' ich, wie gesagt, auch immer noch das Dat Adam-​Tape sehr ger­ne. Das ist aber auch das ein­zig Deut­sche, das ich hör'. Wenn du mich nach Ami­sa­chen fragst, kann ich dir 20 Alben nen­nen. Ich fin­de, dass Deutschrap so unin­ter­es­sant gewor­den ist – es klingt alles gleich. Deut­scher Rap ist zu Fließ­bandrap mutiert.

MZEE​.com: Aber auch du bist irgend­wann zu Deutschrap gekom­men – wel­che Künst­ler haben dich dazu moti­viert, selbst Musik zu machen? Oder warst du von Anfang an Amirap-geprägt?

Sier­ra Kidd: Nee … Also, ganz, ganz frü­her hab' ich rich­tig viel Savas gehört. Das, was man halt hört – ich war jung. Ich hab' auch mit Sido ange­fan­gen, Deutschrap zu hören: Sido, Bushi­do, Aggro Ber­lin. Das wür­de man gar nicht von mir den­ken. (lacht) Ich bin damals mit Bag­gys und Pel­le Pelle-​Pullover von Hood­boyz durch die Schu­le gelau­fen. Hat­te mir das in den Tages­an­ge­bo­ten gekauft, für zwei Euro. Auf die­sem Grind war ich damals. (lacht) Hab' mir irgend­wel­che Fake-​Sachen und rich­tig komi­sche K1X-​Schuhe geholt und gedacht, ich bin der flys­te Typ der Welt. Die gan­ze Zeit Sido und die Aggro Ansa­gen gehört, dann kam irgend­wann die Anti Ansa­ge … Ich weiß das alles noch ganz genau. Ich hab' damals noch den Beef mit­be­kom­men von Bushi­do und Kay One gegen Sido und Alpa Gun, so um Weih­nach­ten rum … Das war so 'ne gei­le Zeit! Aber im End­ef­fekt war's da, glau­be ich, auch schon komisch, wenn man älter war. Ich glau­be, wenn man älter ist, ver­liert sich die Magie allgemein.

MZEE​.com: Kom­men wir mal zu einem ande­ren The­ma: Was war der für dich bis dato größ­te Schritt in dei­ner Karriere?

Sier­ra Kidd: Das klingt jetzt rich­tig dumm und vor­her­seh­bar, aber das war auf jeden Fall das "FSOD"-Album. Als das fer­tig war, bin ich zu mei­ner Mom gegan­gen und mein­te zu ihr nur: "Mama, ich glau­be, wenn das Album raus­kommt, wird sich alles ver­än­dern". Sie mein­te dann nur: "Wie­so glaubst du das?", und ich hab' ihr gesagt: "Kei­ne Ahnung, ich weiß es ein­fach". Und es stimmt. Es ver­än­dert sich gera­de wirk­lich alles, auch die Wahr­neh­mung der Men­schen. Auf ein­mal ver­ste­hen alle unse­ren Film und che­cken, auf was für 'nem Grind wir die gan­ze Zeit waren. Jetzt kommt jemand wie Money Boy und sagt zu mir: "Es ist mega­nice, was du da machst, ich will ein Fea­ture." Seit ich mit Young Moku­ba chill', bin ich voll Swagmob-​infiziert. (lacht) Die Leu­te, die mich am meis­ten geha­tet haben, sind auf ein­mal Freun­de von mir. Man merkt, dass sich irgend­et­was ver­än­dert und ich werd' ein­fach auch erwach­se­ner. Frü­her hab' ich mich nicht getraut, Sachen wie "Bitch" oder "Joints" zu sagen, obwohl es mei­ner Rea­li­tät ent­sprach. Mitt­ler­wei­le ist mir das egal – ich hab' gemerkt, dass du kei­nen Fick geben darfst. Und genau das tu' ich jetzt.

MZEE​.com: Gibt es noch ein Ziel, das du inner­halb der Deutschrap­sze­ne anvi­siert hast?

Sier­ra Kidd: Ein Ziel? Das darf ich gar nicht sagen, da hal­ten mich alle für behin­dert … (lacht)

MZEE​.com: Die Eins?

Sier­ra Kidd: Die Eins? (lacht) Die Eins ist das kleins­te Ziel über­haupt, das hab' ich schon gar nicht mehr als Ziel. Die Charts sind so kaputt. Ich werd' mit "FSOD" jetzt bestimmt auf 20, 30 oder 40 char­ten, aber werd' Ende des Jah­res trotz­dem mehr ver­kauft haben als vie­le ande­re in mei­nem Umfeld. Wir ach­ten eher auf Lang­zeit. Die Leu­te in Deutsch­land sind so kaputt, die schau­en, wer in der ers­ten Woche wie viel ver­kauft hat – das ist falsch, Jungs. Guckt doch dar­auf, ob es sich über­haupt ver­kauft. Alli­ga­to­ah wur­de ja auch von vie­len belä­chelt, weil sie sei­ne Musik nicht ver­stan­den haben. Und jetzt ist der Typ Gold. Und Pla­tin mit 'ner Sin­gle. Mach das erst mal nach. Ande­re Leu­te, die auf der Eins waren, tin­geln irgend­wo bei 20.000 Ein­hei­ten rum … Man, ich will Pla­tin gehen, eine Schu­le bau­en, Ehren­bür­ger in mei­ner Stadt wer­den. Die Zie­le, die ich habe, sind zu groß, um sie zu nen­nen – die Leu­te hal­ten mich für behin­dert, wenn ich denen das sag' … Nächs­tes Jahr bin ich wahr­schein­lich eh auf irgend­wel­chen Dro­gen hän­gen geblie­ben, ver­kauf' nur noch 500 Ein­hei­ten von mei­nem Album und kann sagen: "Ja, man, der Traum vom Rap hat sich auf jeden Fall erfüllt"! (lacht)

MZEE​.com: Zum Abschluss des Inter­views wer­fen wir noch einen kur­zen Blick in die Zukunft: Was sind die nächs­ten Schrit­te vom TeamFuckSleep?

Sier­ra Kidd: Mein Tape ist ja jetzt gekom­men. Wir gehen viel­leicht noch auf Tour, das wis­sen wir noch nicht so genau. Mein Label­ma­te Kyn­da Grey bringt auf jeden Fall noch sein Tape raus – nicht mehr die­ses Jahr, aber das kommt als nächs­tes. Es ist FuckSleep-​Season. Wir haben noch voll vie­le Moves geplant, aber die dür­fen wir nicht ver­ra­ten – sonst wär's ja nicht FuckSleep-​Season. (grinst)

MZEE​.com: Die letz­ten Wor­te gehö­ren dir.

Sier­ra Kidd: (auf­ge­regt) Oh mein Gott, oh mein Gott! Okay. Ich grü­ße mei­ne Mama, mei­ne Geschwis­ter, Hadi El-​Dor und das TeamFuckSleep.

(Pas­cal Ambros)
(Fotos von Manu­el J. Karp/​mjk Foto­gra­fie GbR)

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