"Was?! Du kennst das nicht? Sekunde, ich such' dir das mal raus." – und schon öffnet sich die Plattenkiste. Wer kennt diesen Moment nicht? Man redet über Musik und auf einmal fällt ein Name – egal, ob von einem Song, einem Künstler oder einem Album –, mit dem man nicht so recht etwas anzufangen weiß. Und plötzlich hagelt es Lobpreisungen, Hasstiraden oder Anekdoten. Gerade dann, wenn der Gesprächspartner ins Schwärmen verfällt und offen zeigt, dass ihm das Thema wichtig ist, bittet man nicht allzu selten um eine Kostprobe. Die Musik setzt ein und es beginnt, was der Person so sehr am Herzen zu liegen scheint. In diesem Fall – was uns so sehr am Herzen liegt: Ein Auszug aus der Musik, mit der wir etwas verbinden, die wir feiern, die uns berührt. Ein Griff in unsere Plattenkiste eben.
Jeder von uns hat ihn irgendwie mitbekommen: den großen Beef zwischen Meek Mill und Drake. Nach früheren gemeinsamen Tracks gibt es nun also Ghostwriting-Vorwürfe von Meek gegen Drizzy, der auch prompt seine Antwort aus dem Studio folgen lässt. Gott sei Dank wird das Ganze folglich nicht über Twitter ausdiskutiert – danke! –, sondern auf musikalischem Wege. Natürlich stürzen sich auch die Medien auf diese Schlammschlacht, berichten in bester Fußballmanier über Zwischenstände oder Zahlen und bewerten Sieg oder Niederlage. Generell kommt der wohl talentierteste MMG-Artist Meek Mill dabei ziemlich schlecht weg. Meistens lässt mich so etwas kalt, denn ich brauche ganz sicher keine medialen Zwischen- oder Endstände von irgendwelchen Beefs. Und wenn doch, dann möchte ich nichts von Verkaufszahlen wissen, sondern von künstlerischem Schaffen und starken Songs. Und davon hat Meek Mill ohne Zweifel eine Menge geliefert, allen voran auf seinem Debütalbum im Jahr 2012.
"Dreams and Nightmares" ist der typische Vom-Tellerwäscher-zum-Millionär-Soundtrack und für mich mittlerweile locker zum Classic gereift. Nach den starken Mixtapes bündelte der Dreamchaser all seine Energie für dieses beeindruckende Debüt. Die Beats kommen zunächst vielleicht wie die gängigen MMG-Produktionen und somit etwas plastisch daher, doch der emotionale Stil der Texte und die schmerzhafte Vortragsweise der South Philly Stories lassen mich das Leben des Robert Williams mitleiden. Und mitfeiern. Bis hierher brauchte ich keine Dollar-durch-den-Club- oder Shake-ya-booty-Hymnen, doch genau mit diesem Album entwickelte ich meine Empathie für all die materialistischen und profilierenden Songs der Slumdog Millionairs. Auch heute ertappe ich mich, ein klassisches Boom bap-Kind, dabei, wie ich die Autotune-Single "Young & Gettin' it" aufdrehe und die Phrasen mitrappe. Denn gegensätzlich dazu gibt es dann noch diese traurigen, wütenden und schmerzlich vorgetragenen Songs, nach denen ich es Meek Mill herzlich gönne, seine wohlverdienten Dollars in Stripclubs auf den Kopf zu hauen und sich selbst zu feiern. Meek Mill spricht mir alles andere als aus der Seele und hat mir dennoch mit diesem Album geholfen, eine völlig fremde Mentalität zu verstehen und zu lieben. Im Loop liefen dann bei mir allerdings doch eher Songs wie das "Intro" oder "Traumatized", von denen ich mir gerne noch einen höheren Anteil auf diesem Album gewünscht hätte. Andererseits jedoch hoffe ich für ihn und erwarte gleichzeitig auch nicht, dass Mill noch viele Tracks dieser Art schreiben muss.
"See my dreams unfold, nightmares come true. It was time to marry the game an I said: 'Yeah I do!'" – yes Robert, you did. Und wie das bei einer Hochzeit so schön heißt: in guten wie in schlechten Zeiten. Auch diese wirst du wieder überstehen. Ich jedenfalls krame auch im Jahr 2015 weiterhin regelmäßig diese Platte aus meinem Regal.
(von unserem freien Mitarbeiter Justus Jonas)