Ziehe keine Miene, weil sich Kälte nicht bewegt.
Schrei': Wie soll'n sie mich versteh'n, wenn ich mich selber nicht versteh'?
Trotz seines jungen Alters kann Sierra Kidd bereits auf eine ansehnliche Karriere zurückblicken: Entdeckt durch den ehemaligen Freunde von Niemand-Manager Hadi El-Dor, gelobt von namhaften Künstlern der Deutschrapszene und schlussendlich gesignt bei RAF Camoras Indipendenza. Step by step in Richtung eigenes Label TeamFuckSleep. Braucht man da überhaupt noch irgendeine großartige Promophase, um Aufmerksamkeit auf eine neue Platte zu ziehen? Scheinbar nicht. Quasi über Nacht veröffentlichte Sierra Kidd mit "FSOD" einfach so ein komplett neues Album …
… auf dem er gerne mal mit seiner Gang rumhängt, ab und an 'nen Blunt raucht, das Leben genießt und vom Erfolgsstatus seiner Musik berichtet. Doch all das wird getrübt von einer ganzen Palette an – beizeiten leider recht floskelhaft formulierten – Zukunftsängsten und dem Gefühl von Unverständnis seitens seiner Mitmenschen. Dazu kommt noch die Schlaflosigkeit, die zu erwähnen er niemals müde wird. Das alles kann der Rapper dem Hörer auch wirklich gut und glaubhaft vermitteln: Selten findet Kidd keine passenden Worte und hübsch gereimte Umkleidungen, um seinen Gemütszustand zu beschreiben. Ganz gleich, was man ihm auch vorwerfen will – zu sagen, er könne nicht rappen, wäre trotz dem relativ hohen Gesangsanteil des Langspielers schon verdammt engstirnig.
Aber textliche Finesse, die ein oder andere zu Boden gedroschene Floskel und Technik sind nun mal nicht alles. Und der Sound, der den Langspieler umrahmt, wurde so zwar wahnsinnig gut ausproduziert, wirkt auf mich aber schon ab dem ersten Titel viel zu konstruiert. Melancholische und elektronische Einflüsse sowie Autotune- und Flanger-Effekte prägen 90% der Platte. Und das ist jetzt nicht einmal übertrieben, denn tatsächlich wurde in der Nachbearbeitung so gut wie jede Vocalspur mit Effekten überladen. "Colt" sticht da, taktisch klug in der Mitte des Albums platziert, merklich positiv heraus. Hier schafft Kidd es erstmals, mich mit arroganter Haltung, hoher Flowvariabilitätsrate und guten bis sehr guten Reimen wirklich zu überzeugen. Der Wermutstropfen ist die anschließende Fortführung des vorangegangenen Konzepts in Form des Songs "Fan von dir", dessen eingängige Ohrwurm-Hook verdächtig nach dem Rezept eines Cros klingt.
Sierra Kidd liefert mit "FSOD" ein Album ab, das von seinem elektronischen Klangbild und einer vor Melancholie triefenden Atmosphäre lebt. Und wenn man davon Fan ist, dann wird man mit dem spontan releasten Longplayer des TeamFuckSleep-Oberhaupts bestimmt auch warm – mich fesselt die Stimmung allerdings nicht.
(Pascal Ambros)
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