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Kommentar

Busy Boy Jay #1 – Das hat mit HipHop nichts zu tun

Jedes Maga­zin hat sei­ne exter­nen Autoren. Unse­rer hört auf den Namen Busy Boy Jay und ana­ly­siert, kom­men­tiert und inter­pre­tiert in sei­ner Kolum­ne auf MZEE​.com aktu­el­le Phä­no­me­ne der deut­schen Rapszene.

Die nach­fol­gen­de Kolum­ne stellt einen in unre­gel­mä­ßi­gen Abstän­den erschei­nen­den Bei­trag des Autors "Busy Boy Jay" dar und ent­spricht nicht zwangs­läu­fig der Mei­nung der Redaktion. 

 

Wow, Mensch, geil. MZEE ist back on the Map. Das ist Hip­Hop in Rein­kul­tur. Ich mei­ne, war es nicht das Label MZEE Records, das uns schon Mit­te der 90er Klas­si­ker wie "Fens­ter zum Hof" von den Stie­bers, "Kopf­ni­cker" von den Mas­si­ven Tönen oder "Fremd im eige­nen Land" von Advan­ced Che­mis­try schenk­te? Jup, kor­rekt, Bru­di. Aber war­te mal: Advan­ced Che­mis­try? Das ist doch Torch! Das ist ja das Aller­letz­te. Immer die­se hän­gen­ge­blie­ben Torch-​Fans über­all (die man aber nir­gends sieht). Die­ser Realkeeper-​Abschaum. Die­se wider­li­chen Ruck­sack­kif­fer. Die­se abge­wichs­ten, fit­ness­lo­sen Unter­men­schen. Die­se HipHop-​Affen. Ich möch­te mit die­sen Men­schen nichts zu tun haben. Und jetzt her mit dem Grey Goose.

Wann genau wur­de es eigent­lich cool, als Rap­per (oder noch schlim­mer Rap-​Fan) Hip­Hop schei­ße zu fin­den? Graf­fi­ti? Schmie­re­rei! Break­dance? Män­ner tan­zen nicht! Turn­t­a­b­leism? Du Vinyl-​Messi! Freestyle-​Rapper? Töten! Ich schät­ze, es muss so um die Jahr­tau­send­wen­de gewe­sen sein, als sich ein rela­tiv radi­ka­les Abgren­zungs­be­dürf­nis zum 90er Jahre-​Bild von Hip­Hop breit­mach­te. Und kei­nes­wegs nur bei aus­ge­mach­ten Straßen-​Goons wie Bushi­do und all sei­nen Lederjacke-​Boxerschnitt-​Klonen (klei­ne Bushi­dos). Die Ver­ach­tung für den durch­schnitt­li­chen HipHop-​Head zog sich fort­an auch durch sämt­li­che Dipset-​Airbrush-​Nachthemd-​Releases. Man den­ke nur an den wun­der­tas­ti­schen MC Lutz auf Savas' "Freun­de der Sonne"-Projekt, der mit DJ Easy den Unter­grund sei­nes Kaffs gerockt hat. Oder Farid und Kol­le. Die erklär­ten kur­zer­hand Geld zäh­len, Girls klä­ren, Gang­bang und McFit zu den vier Ele­men­ten und droh­ten Tra­di­tio­na­lis­ten mit Mes­ser­stich. Und der Boss setz­te 2014 mit der Techno-​Mallorca-​Grütze "Das hat mit Hip­Hop nichts zu tun" noch einen oben drauf. Alles unter­halt­sam, zuge­ge­ben. Aber viel­leicht hat die­ses Bas­hing ja doch was mit Hip­Hop zu tun. War­um muss­te die­se aus den 70ern und 80ern kom­men­de und in den 90ern fest­ge­fah­re­ne Idee von Hip­Hop dran glau­ben? Viel­leicht, weil das wirk­lich alles Opfer waren. Viel­leicht, weil die Stuttgart-​Hamburg-​Posse im Main­stream den Mit­tel­fin­ger ein­ge­zo­gen hat­te. Viel­leicht, weil die dog­ma­ti­sche 90er-​Generation tat­säch­lich auf ihrem behin­der­ten Realkeeper-​Film kle­ben geblie­ben war und so allen auf den Sack ging. Viel­leicht, weil die Stra­ße regu­lie­ren woll­te wie Nate Dogg und War­ren G – und dort blon­de, Oli Pocher ähneln­de Milch­ge­sich­ter mit Beat­box ein­fach nicht ins Respekts­ge­fü­ge passten.

Viel­leicht war Hip­Hop aber auch zu groß gewor­den. Zu groß für Gren­zen, für Regeln, für ein Mit­ein­an­der, für eine Sze­ne. Des­halb muss­ten die Idea­le ster­ben. Hip­Hop ist mitt­ler­wei­le über­all. Hip­Hop ist in Gesell­schafts­mit­ten vor­ge­drun­gen, die nie ein Mensch je sehen woll­te. Das Pro­blem ist: Wenn Hip­Hop über­all und alles ist … dann ist Hip­Hop auch nichts mehr. Auch ich muss mir immer wie­der mit bei­den Fin­gern an den Schlä­fen rei­ben und das Man­tra vor mich hin­be­ten: "Die­ser LionT und die­ses SpongeBOZZ-​Ding haben nichts mit dir zu tun. Ja, sie rap­pen … bezie­hungs­wei­se nen­nen sie es so. Aber du hast nichts mit die­sen Fehl­ge­bur­ten der Höl­le zu tun. Sie sind weit weg auf dem Kin­der­ka­nal … äh, auf You­Tube. Und irgend­wann wird irgend­ein Spin­ner kom­men und die­sem LionT sei­ne dum­me Midget-​Visage zurechtrücken."

Tja, und trotz­dem ste­hen wir jetzt hier – 23 Jah­re nach "Fremd im eige­nen Land" – und relaun­chen MZEE​.com. Eine HipHop-​Plattform. Komisch. Ein Freund von mir sagt: "Hip­Hop gibt es nicht mehr." Das mag es in den 90ern gege­ben haben. Aber heu­te ist die Num­mer so breit, dass man nicht mehr von einer HipHop-​Szene, geschwei­ge denn von gemein­sa­men Ideen oder Wer­ten spre­chen kann. Was haben schwarz­ja­cki­ge Gangs­ter, blau­haa­ri­ge Casper-​Mädels, Pipi-​Kacka-​Fotze schrei­en­de Azubi-​Schlosser mit 257ers-​Kappe, uptur­nen­de Hustensaft-​Boys, Eiweiß schlu­cken­de Mini-​Arnolds und vor Erleuch­tung kopf­ni­cken­de Abzstrakkt-​Jünger schon gemein­sam? Nichts! Es gibt kei­ne HipHop-​Szene mehr … Das sagt mein Kumpel.

Aber ich wage es, ihm und Nas zu wider­spre­chen. Hip­Hop ist nicht tot. Nicht als Idee und auch nicht als Sze­ne. Er ist nur viel grö­ßer und ver­wäs­ser­ter als frü­her. Natür­lich ist nicht jedes Prinz Pi-​Mädchen Teil von Hip­Hop, nur weil sie eine schlech­te (har­ha­r­har) Rap­plat­te im Schrank ste­hen hat. Nicht jeder Techno-​Chemie-​Junk, der auch mal ein Herzog-​Album gut fin­det, ist gleich ein ech­ter Head. Nicht jeder Zuhäl­ter mit Gram­ma­tik­pro­ble­men, der Xatar im SL pumpt, liest die JUICE. Und der Tag, an dem ein Rechts­po­pu­list wie Juli­en­s­Blog ernst­haft von brei­ten Tei­len der HipHop-​Szene aner­kannt wird, gebe ich mei­ne The­sen auch auf und zie­he nach Nord­ko­rea. Aber solan­ge mei­ne ich noch so etwas wie ver­bin­den­de Ele­men­te aus­ge­macht zu haben. Ech­te Hip­Hop­per respek­tie­ren alle Spiel­rich­tun­gen des Raps. Egal, ob Haft­be­fehl, Cas­per oder Mor­lockk Dilem­ma. Was zählt, sind Skills. Debi­le Sät­ze wie: "Das ist doch so Gangster-​Scheiß" oder "Das ist doch so Emo-​Schwuchtel-​Mucke" hört man von ihnen nicht. Ech­te Hip­Hop­per gren­zen sich nicht gegen­über ande­ren Eth­ni­en oder Bil­dungs­schich­ten ab. Klingt kit­schig, aber: Hip­Hop ver­bin­det. Und so selbst­ver­ständ­lich ist das nicht in einem Land, in dem man als Gym­na­si­ast auch mal ein Leben lang unter Ste­fans und Mei­kes und als Haupt­schü­ler unter Emres und Svet­la­nas blei­ben kann. Ech­te HipHop-​Heads ken­nen sich aus. Ja, sie gucken die gan­zen ver­damm­ten Inter­views mit Fler, Farid und Money Boy, auch wenn sie die Mucke viel­leicht schei­ße fin­den. Irgend­wie gehö­ren die Jungs ja dazu. Ech­te Hip­Hop­per ste­hen auf Expli­cit Lyrics. Sie fei­ern den poli­tisch unkor­rek­ten Shit, auch wenn er nicht ihre eigent­lich poli­tisch kor­rek­te Mei­nung wie­der­gibt. Har­te Spra­che gleich gute Spra­che. War­um? Weil Hip­Hop­per nicht jedes beschis­se­ne Wort auf die Gold­waa­ge legen. Weil sie wis­sen, dass Rap Emo­ti­on und immer auch ein biss­chen Anar­chie ist. Und das soll ver­dammt noch mal so blei­ben, du Huren­sohn. Ech­te Hip­Hop­per haben kein Pro­blem mit Dro­gen, beson­ders nicht mit Weed – do your thang. Ech­te Hip­Hop­per ste­hen dar­auf, die Spra­che zu ver­än­dern. Ech­te Hip­Hop­per freu­en sich immer, wenn ein End to End im Bahn­hof einfährt.

Ich könn­te ewig so wei­ter machen, aber ich habe kei­nen Bock mehr. Ich hof­fe, Ihr get­tet mei­nen Point. Und jetzt wer­det Ihr viel­leicht sagen: "Moment mal, das ist doch nichts Beson­de­res!" Nein. Beson­ders nicht mehr, die Zei­ten sind vor­bei. Aber in Deutsch­land wäh­len immer noch 50 Pro­zent der Men­schen CDU, FDP oder AfD. Kurz­um: Du bist Hip­Hop­per, Du bist kein Spie­ßer. Schließ­lich hast Du auch die­sen gan­zen Text hier gele­sen, weil er sich um Dei­ne Iden­ti­tät dreht. Ein Freund von mir – nein, nicht der, der gesagt hat, Hip­Hop sei tot – hat ein­mal gesagt: "Hip­Hop ist für mich immer noch so ein biss­chen ein Mit­tel­fin­ger an die Gesell­schaft." Belas­sen wir es doch dabei. Fickt Euch und Kuss. XOXO.

Hip­Hop Hooray.

Euer Busy Boy Jay

(Titel­bild von Dai­ly Puffy Pun­ch­li­nes)