"Okay – was habe ich verpasst?" Eine Frage, der wohl jeder von uns schon einmal begegnet ist. Egal, ob man sie selbst gestellt hat oder mit ihr konfrontiert wurde. Manchmal kommt einfach der Zeitpunkt, an dem man sich vor allem eines wünscht: "Bringt mich doch mal auf den neuesten Stand!" Doch wie antwortet man darauf? Was hält man für besonders erwähnenswert? Es ist schwer, eine kurze, aber vollständige Antwort darauf zu finden. Wie misst man überhaupt Relevanz? An medialem Hype? Am Überraschungsfaktor? Oder doch an dem musikalischen Anspruch? In "Hört, hört!" geht es um das alles, reduziert auf zwei Veröffentlichungen. Ein Release, das vor allem im Untergrund auf Zuspruch gestoßen ist, und eines, das in der breiten Öffentlichkeit wahrgenommen wurde. Zwei Werke, die wir nicht unbedingt gut finden müssen, aber eine gewisse Relevanz oder eine Bedeutung jeglicher Art für die hiesige Raplandschaft besitzen. Zwei Werke, die am Ende des Monats vor allem eines aussagen: "Hört, hört! Genau das habt ihr verpasst!"
Crack Ignaz – Kirsch
"I bin der König der Alpen, auch bekannt als Austrias Sweetheart. Der beliebteste Mensch von Österreich. Süß wie eine Mozartkugel, so die schönen Haare – du kennst mi" – ein kurzer Auszug aus dem etwas älteren Titel "König der Alpen". Dieser selbsternannte König hört auf den Namen Crack Ignaz. Große, mit mehr als nur einem zwinkernden Auge vorgetragene Worte von einem Typen, der mir persönlich zu Beginn des Jahres noch so gar kein Begriff war. Doch das sollte sich im Mai ändern, als mir ein Freund die Empfehlung aussprach. Aber wie konnte meine Reaktion anders ausfallen, als: "Ich hasse Rapper mit Mundart!"
Es klingt oftmals einfach abstrus und fast schon ulkig, wenn man Phrasen absolut klar versteht und dann Passagen kommen, bei denen man ratlos zurückgelassen wird. Ab und an tauchen noch bekannte Wörter auf, die für das eigene Empfinden teilweise seltsam ausgesprochen klingen … Und schon stehen einem die Fragen im wahrsten Sinne ins Gesicht geschrieben: "Was passiert hier eigentlich gerade?"
Meist ist die Antwort simpel: Kunst. Und im Falle von Crack Ignaz ist diese Antwort mehr als gerechtfertigt. Gibt man dem "König der Alpen" einen Moment Zeit – zumindest solange, bis man sich an den Dialekt gewöhnt hat –, wird man mitgerissen. Mitgerissen von einem Typen mit jeder Menge amerikanischer Rap-Einflüsse, mit Pop-Anleihen und Swag. Von einem Künstler, der seinen Style über die Jahre hinweg gefunden hat. Kein Wunder also, dass "Kirsch" auf durchwegs positive Resonanz stößt und von vielerlei großen Künstlern – mitunter Casper und Sido – positiv erwähnt wird. Diesem Album sollte man definitiv einen Moment seiner Aufmerksamkeit schenken.
(Lukas Maier)
K.I.Z – Hurra die Welt geht unter
"Seht, was wir erschaffen haben, ihr müsst uns einfach lieben – die Orsons, Trailerpark, 257", rappt Tarek bereits auf "Wir", dem Intro des fünften K.I.Z-Langspielers. Obwohl er es sicherlich mit einem verschmitzten Lächeln meint: An der Grundaussage ist schon was Wahres dran. Die vier Berliner prägten eine ganze Generation in Rap-Deutschland mit unverblümter Offenheit und erbarmungslosen Texten.
2015 erstrahlt der "Biergarten Eden" von Nico, Maxim, Tarek und DJ Craft heller denn je. Es ist definitiv das Jahr der Kannibalen in Zivil – und das auch völlig zurecht, veröffentlichten sie doch diesen Monat erst eines der vielleicht wichtigsten Alben des Jahres. Heraus sticht da natürlich "Boom Boom Boom", die Single-Auskopplung der Crew, in der die anhaltende Flüchtlings-Debatte mit nur einer Zeile auf den Punkt gebracht wird: "Denkt ihr, die Flüchtlinge sind in Partyboote gestiegen – mit dem großen Traum, im Park mit Drogen zu dealen?" Generell verdrängt auf dem neuen Album die Gesellschaftskritik Ironie und Sarkasmus mehr als bei früheren K.I.Z-Veröffentlichungen. Da gibt es mit Audio88 & Yassin auch spontan den politischen Rundumschlag, der mit Manny Marc egalisiert wird und in der "Rummelbumsdisco" endet.
Wer ein Album der vier Künstler kauft, bekommt einfach ein Gesamtpaket an Unterhaltung. Gegen alles und jeden wird geschossen, wenn auch nur selten namentlich. Den ein oder anderen Moment, an dem man sich selbst an die Nase packen muss, inklusive. Alleine durch ihre tagesaktuelle Themenwahl und das mutige Aufgreifen einer Debatte, die niemals eine Debatte sein dürfte, haben sich die vier Berliner einen Platz bei "Hört, hört!" redlichst verdient. Oder um es mit den Worten von K.I.Z selbst auf den Punkt zu bringen: "Hater, da habt ihr den Salat!"
(Sven Aumiller)