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Hört, hört!

Juni 2015: Gold Roger und Marsimoto

Was Ihr Euch in Sachen Deutschrap in die­sem Monat unbe­dingt ange­hört haben müsst? In unse­rer Rubrik "Hört, hört" stel­len wir die bei­den für uns rele­van­tes­ten Releases aus zwei Wel­ten, Unter­grund und Main­stream, vor. Die­ses Mal: Gold Roger und Marsimoto.

"Okay – was habe ich ver­passt?" Eine Fra­ge, der wohl jeder von uns schon ein­mal begeg­net ist. Egal, ob man sie selbst gestellt hat oder mit ihr kon­fron­tiert wur­de. Manch­mal kommt ein­fach der Zeit­punkt, an dem man sich vor allem eines wünscht: "Bringt mich doch mal auf den neu­es­ten Stand!" Doch wie ant­wor­tet man dar­auf? Was hält man für beson­ders erwäh­nens­wert? Es ist schwer, eine kur­ze, aber voll­stän­di­ge Ant­wort dar­auf zu fin­den. Wie misst man über­haupt Rele­vanz? An media­lem Hype? Am Über­ra­schungs­fak­tor? Oder doch an dem musi­ka­li­schen Anspruch? In "Hört, hört!" geht es um das alles, redu­ziert auf zwei Ver­öf­fent­li­chun­gen. Ein Release, das vor allem im Unter­grund auf Zuspruch gesto­ßen ist, und eines, das in der brei­ten Öffent­lich­keit wahr­ge­nom­men wur­de. Zwei Wer­ke, die nicht unbe­dingt gut sein müs­sen, aber eine gewis­se Rele­vanz oder eine Bedeu­tung jeg­li­cher Art für die hie­si­ge Rap­land­schaft besit­zen. Zwei Wer­ke, die am Ende des Monats vor allem eines aus­sa­gen: "Hört, hört! Genau das habt ihr verpasst!"

 

GoldRoger_Raeuberleiter

Gold Roger – Räuberleiter

Reich­tum, Macht und Ruhm: Der Mann, der sich dies alles erkämpft hat, ist Gold Roger, der König des #MOT 2014 … Okay, genug der Anspie­lun­gen auf Rogers Namens­vet­ter, den Pira­ten­kö­nig aus "One Pie­ce". Denn dass der aus Dort­mund stam­men­de MC längst für sich allei­ne ste­hen kann, hat er im Zuge des bereits erwähn­ten Sie­ges bewie­sen. Tat­säch­lich war die Teil­nah­me am Moment of Truth-​Turnier aber fast so etwas wie sein ers­ter Geh­ver­such. Zumin­dest der ers­te Geh­ver­such, der wirk­lich Auf­merk­sam­keit erre­gen konn­te. Denn auch, wenn sei­ne ers­ten Auf­nah­men schon im Jahr 2013 ver­öf­fent­licht wur­den, scheint Rogers Kar­rie­re jetzt erst wirk­lich zu star­ten. Obwohl das Kon­zept des #MOTs ein leicht ande­res ist – eine mitt­ler­wei­le fast omni­prä­sen­te Fra­ge bei bezie­hungs­wei­se nach Deutschrap-​Turnieren bleibt: Kön­nen sich die Teil­neh­mer auch auf nor­ma­len Tracks oder Alben bewei­sen? Der nächs­te Schritt Gold Rogers vom #MOT-​Thron wei­ter nach oben war des­halb eine "Räu­ber­lei­ter".

Eine "Räu­ber­lei­ter", die nicht nur neu­es Mate­ri­al für sei­ne Fans bereit­stell­te, son­dern auch den Typen hin­ter den bis dato ver­öf­fent­lich­ten Vide­os vor­stel­len soll­te. Das Album ist daher nicht nur vom Sound her viel­schich­tig gehal­ten, son­dern bemüht sich auch, den Inter­pre­ten von ver­schie­dens­ten Sei­ten zu beleuch­ten. Mal knackt das Vinyl sanft über schumm­ri­gen Pia­no­klän­gen, wäh­rend Roger von zur Resi­gna­ti­on ver­ur­teil­ten Kin­der­träu­men und dem "Power­ran­ger­blues" spricht. Mal kotzt er sich aus der Sicht sei­nes Freun­des "Yunus" über PEGIDA und "nei­di­sche Nazis" aus, wäh­rend die Drums nur so schep­pern und knal­len. Der ent­spann­te Flow Rogers in Kom­bi­na­ti­on mit intel­li­gen­ten Tex­ten und viel Wort­witz run­den das Werk gelun­gen ab.

Die per­fek­te Mög­lich­keit also, nicht nur viel Neu­es über Gold Roger zu erfah­ren, son­dern auch fest­zu­stel­len, dass der ein­zi­ge Grund, aus dem man den Dort­mun­der aktu­ell fast "nur" auf das #MOT redu­ziert, der ist, dass es bis­her ein­fach noch nicht viel von ihm zu hören gab.

(Dani­el Fersch)

 

marsi

Mar­si­mo­to – Ring der Nebelungen

Deutsch­land ist das Land der Mas­ken­rap­per. Sprech­ge­sangs­ar­tis­ten mit mys­te­riö­ser Gesichts­be­de­ckung gibt es hier spä­tes­tens seit dem Auf­kom­men von Video­b­att­le­tur­nie­ren wie Sand am Meer. Der Mas­ken­ball bewegt sich sti­lis­tisch in die ver­schie­dens­ten Rich­tun­gen. Doch einer unter den Künst­lern hat sich durch sei­nen extrem eigen­wil­li­gen Style über die Jah­re zu einem abso­lut ein­zig­ar­ti­gen Phä­no­men gemau­sert und so sei­nen eige­nen Mikro­kos­mos geschaf­fen. Die Rede ist natür­lich von Mar­si­mo­to aus Green Berlin.

Der grü­ne Mar­sia­ner schuf mit sei­nem aktu­el­len Long­play­er eines der am hei­ßest erwar­te­ten Alben des Jah­res. Und tat­säch­lich steht "Ring der Nebe­lun­gen" völ­lig zurecht bei nahe­zu jedem Deutschrapfan auf der Jah­res­bes­ten­lis­te. Schon mit "Grü­ner Samt" ent­führ­te uns Mar­si­mo­to bei­na­he hyp­no­tisch in sei­ne eige­ne Welt. Auf der neu­en Plat­te wird die­ses Kon­zept kon­se­quent wei­ter­ge­spon­nen und ver­bes­sert: Den Weg in das grü­ne Gehirn Mar­sis ist unmit­tel­bar wie nie zuvor und den­noch voll von absur­der Krea­ti­vi­tät und ver­rück­ten Geschich­ten. Sei­ne Visio­nen sind orga­nisch und greif­bar, wofür nicht zuletzt der gran­dio­se Klang­tep­pich ver­ant­wort­lich ist. Kid Simi­us, Nobo­dys Face, BenD­MA, Dead Rab­bit und Co. haben für das grü­ne Ali­en­we­sen die per­fek­te musi­ka­li­sche Unter­ma­lung geschaf­fen. Mar­si­mo­tos Dschun­gel blub­bert, spratzt und kracht. Nie hat man das Gefühl, das Gehör­te sei nur ein Abklatsch sei­nes gro­ßen Vor­bilds Madlib/​Quasimoto und immer har­mo­niert die gepitch­te Stim­me des Green Berlin-​Chefs opti­mal mit den Beats. Eine solch detail­ver­lieb­te Syn­er­gie zwi­schen Instru­men­tals und Inter­pret fin­det man sonst recht selten.

Ob er sich nun auf "Ille­ga­li­ze it" gegen die Weed-​Legalisierung aus­spricht, auf "Zecken raus" aus der Sicht eines rechts­ra­di­ka­len Blut­saugers erzählt oder in "7 Leben" durch die Welt­ge­schich­te tin­gelt. Stets wohnt den Tracks der typi­sche krea­ti­ve Spi­rit Mar­si­mo­tos inne, der es wie kaum ein Zwei­ter ver­steht, abge­dreh­te und den­noch mit­rei­ßen­de Geschich­ten zu erzäh­len oder Set­tings zu beschrei­ben. Hin­zu kommt der inno­va­ti­ve und eigen­stän­di­ge Sound, der die Plat­te per­fekt abrun­det und "Ring der Nebe­lun­gen" zu einem klei­nen, grü­nen Juwel schleift. Somit wird die Plat­te zum ins­ge­samt stim­migs­ten Release von Mar­si­mo­to und soll­te des­halb von kei­nem Rapfan ver­passt werden.

(Flo­ri­an Peking)